Signatur: BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 3374, Bl. 134-144
Die steigende Verschuldung führte dazu, dass der DDR in den 80er Jahren ein Wirtschafts- und Staatsbankrott drohte. Gerhard Schürer, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission (SPK), forderte in einem Schreiben an Generalsekretär Erich Honecker im April 1988 einen grundlegenden Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik der DDR. Die Stasi war über die Arbeiten am Volkswirtschaftsplan 1989 sowie Schürers Forderungen bestens informiert.
Seit Beginn der 70er Jahre galt die "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" als "Markenzeichen des Sozialismus in der DDR" (Günter Mittag). Konkret waren damit umfangreiche sozialpolitische Maßnahmen wie neue Kindergartenplätze, bezahlter Mutterschutzurlaub, Mietsubventionen, höhere Mindestlöhne und Renten, kürzere Arbeitszeiten für berufstätige Mütter und nicht zuletzt ein großangelegtes Wohnungsbauprogramm verbunden. Bezahlt wurde diese als "Hauptaufgabe" bezeichnete Ausrichtung der Wirtschaftspolitik allerdings mit dem rapiden Verschleiß des Produktionspotentials, ökologischem Raubbau, wachsenden Krediten und einer zu niedrigen Akkumulationsrate (Anteil der Investitionen am Nationaleinkommen) vor allem im produktiven Bereich. Infolgedessen stieg die Verschuldung nach innen und nach außen kontinuierlich an, bis in den 80er Jahren ein Wirtschafts- und Staatsbankrott drohte. Dass sich die DDR am Rand der Zahlungsunfähigkeit bewegte, war vor allem auf ihre Verschuldung gegenüber dem westlichen Ausland zurückzuführen.
Der SED-Apparat befasste sich wie in jedem Jahr auch im Frühjahr 1988 mit dem Volkswirtschafts- und Staatshaushaltsplan für das folgende Jahr. Die Staatliche Plankommission (SPK) entwarf dazu eine Vorlage für das Politbüro. Doch etwas war ungewöhnlich: Am 26. April 1988 fügte der SPK-Vorsitzende und Kandidat des Politbüros Gerhard Schürer dem Entwurf ein Schreiben an Honecker persönlich bei, in dem er angesichts von Bilanzierungslücken und steigender Auslandsverschuldung in zweistelliger Milliardenhöhe gegenüber dem "Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet" (NSW) einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik forderte. In dem Schreiben an SED-Generalsekretär Honecker zeichnet Planungschef Schürer ein kritisches Bild der Wirtschaftslage und macht verschiedene Vorschläge, um einen Wirtschafts- und Staatsbankrott abzuwenden.
Honecker reichte das Schreiben Schürers zur "Prüfung" an das verantwortliche Politbüro-Mitglied, den Wirtschaftssekretär beim ZK der SED Günter Mittag, weiter. In seiner Vorlage lehnt Mittag die von Schürer vorgeschlagenen Änderungen in der Wirtschaftspolitik ab. Die im Politbüro für Wirtschaftsfragen zuständigen Mitglieder stimmten Mittags Vorlage vorab zu. Danach brachte Honecker sie als Chefsache offiziell ins Politbüro ein.
Planungschef Schürer erhielt die Möglichkeit, seine Kritik an der aktuellen Wirtschaftspolitik den Politbüro-Mitgliedern vorzutragen. Anschließend wies der ZK-Sekretär für Wirtschaft, Günter Mittag, diese Kritik zurück und machte für alle Probleme die Staatliche Plankommission verantwortlich. Honecker schloss sich ihm an. Damit war die Sache entschieden. An Honeckers uneingeschränktem Vertrauen in die Entscheidungen Mittags änderte selbst Stasi-Chef Mielke nichts, obwohl dieser zu jeder Zeit über die prekäre Lage der DDR-Wirtschaft informiert war.
In dem vorliegenden Dokument zeigt sich die Stasi über die Arbeiten am Volkswirtschaftsplan 1989 gut unterrichtet. Sie wusste um die Probleme bei der Durchsetzung der erforderlichen höheren Leistungsziele und bei deren praktischer Realisierung. Ebenso war ihr die kontroverse Diskussion der Materialien von Schürer und Mittag nicht entgangen.
Anwachsen des Valutaaufwandes auf ca. 3 Mrd. VM zu erwarten.
Bereich Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft
Die mit der Staatlichen Aufgabe 1989 vorgegebenen Ziele
50 dt GE je ha
11,6 Mio t Getreide
7.540 kt Milch
2.685 kt Schlachtvieh
werden als äußerst anspruchsvoll bezeichnet.
Die Erhöhung des Schlachtviehaufkommens um 20 kt gegenüber 1988 sei risikobehaftet. Begründet mit fehlenden Stallkapazitäten und Arbeitskräften liegen die Vorschläge aus den Bezirken um über 40 kt niedriger.
Im Beratungsmaterial zur Staatlichen Aufgabe 1989 waren für 140 Mio Mark Ausrüstungen als noch nicht materiell untersetzt ausgewiesen.
Hier bestehen ernste Probleme vor allem in der Bereitstellung von Technik für die Nahrungsgüterwirtschaft. Diese Lage gefährde die Realisierung der Beschlüsse der Partei- und Staatsführung zur Fleischwirtschaft und zur Entwicklung der Kühlwirtschaft.
Die Zielstellungen für den NSW-Export und für Preiseinsparungen bei NSW-Importen seien - wie Experten einschätzen - nach dem Erkenntnisstand von 1988 unreal.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Signatur: BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 3374, Bl. 134-144
Die steigende Verschuldung führte dazu, dass der DDR in den 80er Jahren ein Wirtschafts- und Staatsbankrott drohte. Gerhard Schürer, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission (SPK), forderte in einem Schreiben an Generalsekretär Erich Honecker im April 1988 einen grundlegenden Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik der DDR. Die Stasi war über die Arbeiten am Volkswirtschaftsplan 1989 sowie Schürers Forderungen bestens informiert.
Seit Beginn der 70er Jahre galt die "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" als "Markenzeichen des Sozialismus in der DDR" (Günter Mittag). Konkret waren damit umfangreiche sozialpolitische Maßnahmen wie neue Kindergartenplätze, bezahlter Mutterschutzurlaub, Mietsubventionen, höhere Mindestlöhne und Renten, kürzere Arbeitszeiten für berufstätige Mütter und nicht zuletzt ein großangelegtes Wohnungsbauprogramm verbunden. Bezahlt wurde diese als "Hauptaufgabe" bezeichnete Ausrichtung der Wirtschaftspolitik allerdings mit dem rapiden Verschleiß des Produktionspotentials, ökologischem Raubbau, wachsenden Krediten und einer zu niedrigen Akkumulationsrate (Anteil der Investitionen am Nationaleinkommen) vor allem im produktiven Bereich. Infolgedessen stieg die Verschuldung nach innen und nach außen kontinuierlich an, bis in den 80er Jahren ein Wirtschafts- und Staatsbankrott drohte. Dass sich die DDR am Rand der Zahlungsunfähigkeit bewegte, war vor allem auf ihre Verschuldung gegenüber dem westlichen Ausland zurückzuführen.
Der SED-Apparat befasste sich wie in jedem Jahr auch im Frühjahr 1988 mit dem Volkswirtschafts- und Staatshaushaltsplan für das folgende Jahr. Die Staatliche Plankommission (SPK) entwarf dazu eine Vorlage für das Politbüro. Doch etwas war ungewöhnlich: Am 26. April 1988 fügte der SPK-Vorsitzende und Kandidat des Politbüros Gerhard Schürer dem Entwurf ein Schreiben an Honecker persönlich bei, in dem er angesichts von Bilanzierungslücken und steigender Auslandsverschuldung in zweistelliger Milliardenhöhe gegenüber dem "Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet" (NSW) einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik forderte. In dem Schreiben an SED-Generalsekretär Honecker zeichnet Planungschef Schürer ein kritisches Bild der Wirtschaftslage und macht verschiedene Vorschläge, um einen Wirtschafts- und Staatsbankrott abzuwenden.
Honecker reichte das Schreiben Schürers zur "Prüfung" an das verantwortliche Politbüro-Mitglied, den Wirtschaftssekretär beim ZK der SED Günter Mittag, weiter. In seiner Vorlage lehnt Mittag die von Schürer vorgeschlagenen Änderungen in der Wirtschaftspolitik ab. Die im Politbüro für Wirtschaftsfragen zuständigen Mitglieder stimmten Mittags Vorlage vorab zu. Danach brachte Honecker sie als Chefsache offiziell ins Politbüro ein.
Planungschef Schürer erhielt die Möglichkeit, seine Kritik an der aktuellen Wirtschaftspolitik den Politbüro-Mitgliedern vorzutragen. Anschließend wies der ZK-Sekretär für Wirtschaft, Günter Mittag, diese Kritik zurück und machte für alle Probleme die Staatliche Plankommission verantwortlich. Honecker schloss sich ihm an. Damit war die Sache entschieden. An Honeckers uneingeschränktem Vertrauen in die Entscheidungen Mittags änderte selbst Stasi-Chef Mielke nichts, obwohl dieser zu jeder Zeit über die prekäre Lage der DDR-Wirtschaft informiert war.
In dem vorliegenden Dokument zeigt sich die Stasi über die Arbeiten am Volkswirtschaftsplan 1989 gut unterrichtet. Sie wusste um die Probleme bei der Durchsetzung der erforderlichen höheren Leistungsziele und bei deren praktischer Realisierung. Ebenso war ihr die kontroverse Diskussion der Materialien von Schürer und Mittag nicht entgangen.
Zum Erfüllungsstand der Exportverpflichtungen gegenüber der UdSSR
Die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen gegenüber der UdSSR ist für die Volkswirtschaft der DDR besonders unter dem Gesichtspunkt des Bezuges von Rohstoffen und Energieträgern eine Schlüsselfrage, die gegenwärtig im Rahmen der Plandurchführung 1988 von Belastungen charakterisiert werde, die auch auf das Jahr 1989 durchschlagen werden.
Bei den für den Export in die UdSSR per 30. April 1988 noch fehlenden Verträgen in Höhe von 1,2 Mrd. Mark seien 400 Mio Mark materiell nicht untersetzt.
Zum Jahresende 1988 wird durch die Nichterfüllung der STAL Export SU 1988 mit einer zusätzlichen Belastung der Zahlungsbilanz in Höhe von 400 Mio Mark gerechnet.
Unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Saldos der Zahlungsbilanz bedeute das ein Minussaldo gegenüber der UdSSR am Jahresende von ca. 1,5 Mrd. Mark.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Notizen aus der Politbürositzung zur Schürer-Mittag-Kontroverse Dokument, 29 Seiten
Zur Prüfung des Materials des SPK-Vorsitzenden Gerhard Schürer zum Volkswirtschaftsplan 1989 durch Günter Mittag Dokument, 25 Seiten
Schreiben Gerhard Schürers an Erich Honecker mit Überlegungen zum Volkswirtschaftsplan 1989 Dokument, 14 Seiten
Sicherheitspolitischer Standpunkt zum Ansatz für den Volkswirtschaftsplan 1983 Dokument, 16 Seiten