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Geschichten
Erziehung mit der Guillotine
Wie die Stasi an Manfred Smolka ein Exempel statuierte
Härter als mit dem Tode kann man nicht strafen. Der Staatssicherheit schien die Todesstrafe für einen geflüchteten, ehemaligen Grenzoffizier jedoch angemessen. Vor allem, weil sie deren abschreckende Wirkung für die Effizienz des Grenzregimes für notwendig erachtete. Manfred Smolka wurde aufgrund dieses Kalküls 1960 nach einem Schauprozess hingerichtet. Die Unterlagen zeigen, wie die
Stasi gegen Smolka vorging und belegen Minister Mielkes Verantwortung für dieses Urteil.
Erziehung mit der Guillotine
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Einleitung
Manfred Smolka begann seine Karriere als einfacher Grenzpolizist im Jahr 1948. Der Reiz dieser Tätigkeit lag für den leidenschaftlichen Jäger vor allem darin, oft in der Natur und im Wald sein zu können. Obwohl er den bürokratischen und militärischen Aspekten seiner Arbeit wenig abgewinnen konnte, machte Smolka innerhalb der Grenzpolizei schnell Karriere. 1955 stieg er zum stellvertretenden Politoffizier seiner Kompanie in Titschendorf auf.
Mitglied in der SED war Smolka nur, weil dies von einem Grenzoffizier erwartet wurde. Mit der Parteilinie geriet er immer wieder in Konflikt. Trotzdem gelang ihm der weitere Aufstieg bis zum Oberleutnant und Chef der Stabskompanie in Zschachenmühle. Wichtiger als diese Beförderung war ihm aber wohl seine unmittelbare Umgebung. Mit den Einwohnern des Ortes pflegte er einen freundlichen Umgang.
Dies sollte ihm zum Verhängnis werden. Am 17. Juni 1958, dem fünften Jahrestags des Volksaufstandes in der DDR, wurde eine besonders intensive Überwachung an der DDR-Grenze angeordnet. Aufgrund der verschärften Sicherheitsvorschriften hätten die örtlichen Bauern an diesem Tag ihre grenznahen Felder nicht betreten können. Smolka ignorierte diese Anweisung und gestattete den Bauern, ihre Felder zu bestellen. Durch eine Kontrolle kam diese Nachlässigkeit ans Licht. Smolka wurde unterstellt, er sei, statt seine Pflicht auszuüben, auf der Jagd gewesen. Der so Beschuldigte reagierte im Affekt und warf seine Uniformjacke von sich.
Einleitung
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Beurteilung zu Manfred Smolka
Beurteilung zu Manfred Smolka
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Degradierung, Entlassung und Flucht
Smolka wurde degradiert und schließlich entlassen. Weil er danach zudem Probleme hatte, eine neue Anstellung zu finden, entschloss er sich, die DDR zu verlassen. Zwei Wochen nach seiner Entlassung überschritt er die grüne Grenze in Richtung Bundesrepublik. Seine Frau und sein Kind wollte er später nachholen. Damit geriet Smolka in das Fadenkreuz der Staatssicherheit, die mit der Anlage des Operativ-Vorgangs "Verräter" seine Verhaftung plante.
Degradierung, Entlassung und Flucht
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Beschluss über das Anlegen des Operativ-Vorgangs "Verräter"
Beschluss über das Anlegen des Operativ-Vorgangs "Verräter"
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Vorwurf Geheimnisverrat
Über den Hergang der nachfolgenden Ereignisse gibt es zwischen der Version der Stasi-Akten und zum Beispiel dem Bericht seines ehemaligen Zellengenossen Klaus Schmude starke Unterschiede. Das MfS schreckte im Fall Smolka offensichtlich nicht davor zurück, Akten zu fälschen. Es steht fest, dass Smolka nach seiner Flucht routinemäßig von den westdeutschen Behörden und vom amerikanischen Geheimdienst befragt wurde. Wie er immer wieder beteuerte, habe er dabei keine Dienstgeheimnisse verraten.
Vorwurf Geheimnisverrat
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Gutachten über den durch Manfred Smolka verursachten Schaden
Gutachten über den durch Manfred Smolka verursachten Schaden
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Vom Freund betrogen
Wichtiger war es ihm ohnehin, so schnell wie möglich seine Frau und sein Kind zu sich zu holen. Dabei baute er auf die Hilfe eines alten Bekannten von der Grenzpolizei, der Smolka glauben ließ, dass er auch die DDR verlassen wolle. Tatsächlich arbeitete der vermeintliche Freund aber mit der Staatssicherheit zusammen. Smolka gab ihm den Hinweis, dass er einen besseren Start im Westen haben könnte, wenn er eine bei den ostdeutschen Truppen neu eingeführte Gasmaske mitbringen würde – eine Idee, die die Stasi später gegen den ehemaligen Grenzpolizisten verwendete.
Vom Freund betrogen
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Abschrift eines Briefes Smolkas an einen Bekannten bei der Grenzpolizei
Abschrift eines Briefes Smolkas an einen Bekannten bei der Grenzpolizei
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Verhaftung an der innerdeutschen Grenze
Am 22. August 1959 wurde Smolka gemeinsam mit seiner Frau an der innerdeutschen Grenze verhaftet. Er wurde dabei angeschossen. Später beteuerte Smolka immer wieder, dass er westlich der Grenze festgenommen wurde. Der Durchführungsbericht spricht jedoch von einer Festnahme auf dem Staatsgebiet der DDR. Die Unterlagen sind hier eindeutig gefälscht. Das Gericht, welches Smolka später verurteilte, räumt in seiner Urteilsverkündung ein, dass die Festnahme auf westdeutschem Gebiet stattfand. Smolkas Frau wurde ebenfalls festgesetzt und später zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, seine Tochter kam in die Obhut der Großmutter.
Verhaftung an der innerdeutschen Grenze
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Bericht über die Festnahme des ehemaligen Grenzpolizisten Manfred Smolka
Bericht über die Festnahme des ehemaligen Grenzpolizisten Manfred Smolka
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Vorbereitung des Prozesses
Nach der ersten medizinischen Versorgung seiner Schusswunde überführte die Stasi Smolka nach Berlin in die Untersuchungshaftanstalt Magdalenenstraße. Während der Haftzeit bereiteten Staatssicherheit, SED und der Justizapparat den Prozess gegen Smolka vor. Dafür wurden mehrere Gutachten erstellt. Sie sollten belegen, was Smolka verraten, wie er der DDR geschadet und wie er mit dem US-Geheimdienst zusammengearbeitet habe. Die für die Verhandlung notwendigen Geständnisse verschaffte sich das MfS, indem es teilweise unmenschlichen Druck auf Smolka ausübte.
Vorbereitung des Prozesses
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Gutachten über den Wissensstand Manfred Smolkas
Gutachten über den Wissensstand Manfred Smolkas
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Hunger, Durst und Einsamkeit
Während seiner Haftzeit in der Magdalenenstraße war Manfred Smolka permanent Hunger, Durst und Einsamkeit ausgesetzt. Hinzu kamen die schikanierende Behandlung durch die Gefängniswärter und die Ungewissheit über das Schicksal seiner Familie. Letztendlich ließen ihn die zermürbenden Verhörmethoden kapitulieren. Smolka unterschrieb schließlich alles, was die Stasi ihm vorlegte. Sein für den Prozess notwendiges Geständnis wurde geradezu erpresst. Vom Ablauf der Vernehmungen zeugen die ganze Aktenmappen füllenden Befragungsprotokolle und ein Antrag auf "Fristverlängerung im Ermittlungsverfahren". Er war notwendig, um Smolka weiter "bearbeiten" zu können.
Währenddessen bereitete die Staatssicherheit den Prozess gegen Smolka weiter vor. Rechtsstaatliche Standards spielten dabei keine Rolle. Sogar Smolkas Pflichtverteidiger arbeitete mit der Staatssicherheit zusammen, wie aus einem Bericht hervorgeht.
Oberstleutnant Neumann aus der Hauptabteilung IX/6 (zuständig für Ermittlungsverfahren mit politischer Bedeutung) unterbreitete den Vorschlag, an Smolka ein Exempel zu statuieren und ihn zum Tode zu verurteilen. Minister Mielke erklärte sich auf dem Dokumentenkopf handschriftlich "einverstanden".
Hunger, Durst und Einsamkeit
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Vorschlag zur Durchführung eines Prozesses gegen den ehemaligen Grenzpolizisten Manfred Smolka
Vorschlag zur Durchführung eines Prozesses gegen den ehemaligen Grenzpolizisten Manfred Smolka
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Hinrichtung mit der Guillotine
Der ZK-Sekretär Honecker sowie Justizministerin Benjamin stimmten dem später ebenfalls zu. Dementsprechend wurde Smolka am 5. Mai 1960 vom Bezirksgericht Erfurt zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde mit der Guillotine in der zentralen Hinrichtungsstätte Leipzig vollstreckt. Smolkas letzte Worte vor Gericht geben einen Einblick in den Charakter der Verhandlung gegen ihn. Der Schauprozess wahrte allenfalls den Schein eines ordentlichen Verfahrens.
Vielmehr diente die Gerichtsverhandlung der Vorbereitung eines politischen Mordes. Smolkas Tod sollte vor allem mögliche Nachahmer innerhalb der Grenzpolizei von einer Flucht in den Westen abschrecken. Aus diesem Grund waren während der Verhandlung Offiziere der Grenzpolizei anwesend. In Zeiten wachsender Flüchtlingszahlen sollten diese so diszipliniert werden.
Bis heute mussten sich nur der Staatsanwalt Paul Wieseler und Smolkas ehemaliger Kollege von der Grenzpolizei für ihr Handeln verantworten. Smolka selbst wurde 1993 juristisch rehabilitiert.
Hinrichtung mit der Guillotine
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Schlusswort Manfred Smolkas beim Strafprozess vor dem Bezirksgericht Erfurt
Schlusswort Manfred Smolkas beim Strafprozess vor dem Bezirksgericht Erfurt
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Weiterführende Literatur