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Geschichten
Olympia 1972
Die Stasi und die Olympischen Spiele 1972 in München
Die Olympischen Spiele 1972 standen ganz im Zeichen der Entspannungspolitik und boten der
DDR eine große Chance. Denn seit Jahren hatte die Bundesrepublik bei vielen großen Sportveranstaltungen eine eigenständige
DDR-Delegation verhindert. Bei den Spielen in München führten die
DDR-Athleten nun erstmals eine eigene Fahne und hörten bei den Siegerehrungen ihre eigene Hymne. So konnte die
SED-Führung der Welt eine erfolgreiche
DDR präsentieren. Das Ministerium für Staatssicherheit sicherte dies ab.
Olympia 1972
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Einleitung
Bei den Olympischen Spielen von 1956 bis 1964 hatten DDR-Sportler nur als Teil einer gesamtdeutschen Mannschaft teilgenommen. Die Bundesrepublik beanspruchte, als einzige durch freie Wahlen demokratisch legitimierte Regierung in Deutschland, alle Deutschen zu vertreten. Deswegen hatte sie unmittelbar nach dem Mauerbau von 1961 versucht, die DDR mit den sogenannten Düsseldorfer Beschlüssen auch sportpolitisch zu isolieren und so die faktische Zementierung der deutschen Teilung aufzuhalten.
Doch schon im Oktober 1968 war das Nationale Olympische Komitee (NOK) der DDR vollwertiges Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees geworden. Die neue Ostpolitik der sozialliberalen Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt verbesserte die Beziehungen zur DDR, die sich nach und nach aus ihrer internationalen Isolation befreit hatte. Auch wenn nun in München eine ostdeutsche Mannschaft mit allen staatlichen Insignien antreten durfte, wollte die Bundesrepublik der DDR doch so wenig Raum wie möglich für einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt lassen.
Die DDR-Führung betrachtete in ihrem Bemühen um internationale Anerkennung ihre Athleten gerne als "Diplomaten im Trainingsanzug". Diese sollten nun ausgerechnet in der Bundesrepublik die Welt von der Überlegenheit des Sozialismus überzeugen. Für das Ministerium für Staatssicherheit bedeuteten die Wettkämpfe dementsprechend eine große Herausforderung. Es galt die DDR-Mannschaft abzusichern, unabhängige Berichterstattung über die Olympiade möglichst zu unterbinden, Werbung aus dem Westen zu unterfangen, Doping zu verheimlichen und zu verhindern, dass ostdeutsche Athleten in der Bundesrepublik bleiben würden. Hauptverantwortlich hierfür war die Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund) mit ihrer Abteilung 3 (Linie Sport). Auch weitere Abteilungen waren daran beteiligt, denn dass die Spiele in der Bundesrepublik stattfanden erhöhte das Risiko von "Republikfluchten" durch Sportler, Funktionäre, Journalisten oder Touristen. Sie alle wurden bereits im Vorfeld nach politischer Zuverlässigkeit ausgewählt und später überwacht.
Einleitung
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Referat auf der 6. Tagung des Bundesvorstandes "Zum Stand der Vorbereitung der Mannschaft der DDR auf die Olympischen Sommerspiele 1972 und zu Problemen des Nachwuchsleitungssports"
Referat auf der 6. Tagung des Bundesvorstandes "Zum Stand der Vorbereitung der Mannschaft der DDR auf die Olympischen Sommerspiele 1972 und zu Problemen des Nachwuchsleitungssports"
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Absicherung der DDR-Olympiamannschaft
Stasi-Chef Erich Mielke, selber großer Sportfan, war die politische Bedeutung sportlicher Erfolge bewusst. Seit den sechziger Jahren hatte er seinen Apparat durch Dienstanweisungen und Befehle angewiesen, den Spitzensport zu überwachen. Bei den Olympischen Spielen im "Feindesland" der Bundesrepublik sollte die Kontrolle nun noch stärker werden. Im Politbüro des ZK wurden die Leitlinien für den Leistungssport ausgearbeitet und das MfS regelte im Jahre 1971 mit der Dienstanweisung 4/71 erneut seine politisch-operative Arbeit im Bereich von Körperkultur und Sport. Sogenannte Durchführungsbestimmungen hierzu zielten bereits auf die Vorbereitung der Olympischen Spiele im Folgejahr. Auch vor Ort wollte die Geheimpolizei die ostdeutsche Mannschaft absichern und setzte in allen Sportdisziplinen Inoffizielle Mitarbeiter ein.
Absicherung der DDR-Olympiamannschaft
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Durchführungsbestimmung zur Dienstanweisung 4/71 hinsichtlich der Absicherung der DDR-Olympiamannschaft
Durchführungsbestimmung zur Dienstanweisung 4/71 hinsichtlich der Absicherung der DDR-Olympiamannschaft
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Kontrolle der Reisenden und des Briefverkehrs
Die umfangreichen Maßnahmen erforderten teilweise jahrelange Vorbereitungen. Stasi-intern lief dies unter dem Decknamen Aktion "Flamme". Dazu gehörten die frühzeitige Überprüfung der Mannschaft und der mitreisenden Touristen sowie ihre Überwachung durch Inoffizielle Mitarbeiter.
Auch die Beeinflussung der DDR-Bevölkerung durch den Westen wollte die Stasi verhindern. So kontrollierte die Geheimpolizei Post aus dem Westen auf Werbung für die Olympischen Spiele, behielt "Propagandamaterial" ein und speicherte die Daten der Adressaten. Verhindert werden sollte alles, was zur Republikflucht hätte beitragen können.
Kontrolle der Reisenden und des Briefverkehrs
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Inoffizielle Absicherung der DDR-Olympiamannschaft
Inoffizielle Absicherung der DDR-Olympiamannschaft
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Information zur Einfuhr von Gegenständen mit Werbung für die Olympischen Spiele
Information zur Einfuhr von Gegenständen mit Werbung für die Olympischen Spiele
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Vorbereitung des Einsatzes von Kräften und Mitteln der Linie III vor, während und nach den Olympischen Sommerspielen 1972 in München (Rahmenplan)
Vorbereitung des Einsatzes von Kräften und Mitteln der Linie III vor, während und nach den Olympischen Sommerspielen 1972 in München (Rahmenplan)
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"Hysterische" Überwachung
Die Stasi versuchte so sehr alles unter Kontrolle zu behalten, dass sogar westliche Medien seinerzeit von "hysterischen" Absicherungsmaßnahmen sprachen. In der DDR war die Befürchtung groß, der "Gegner" könne die Sommerspiele dazu missbrauchen die DDR-Athleten abzuwerben. Zwar war unvermeidbar, dass die DDR-Sportler während der Wettbewerbe der Vorzüge der westlichen Gesellschaft gewahr wurden. Doch das MfS wollte unbedingt verhindern, dass Mitglieder der DDR-Delegationen den Verlockungen erliegen könnten und Republikflucht begehen würden. Deswegen sollten die eigenen Medien kritisch über die Bundesrepublik berichten und die DDR als wahren Verfechter der olympischen Ideale in Deutschland herausstellen.
"Hysterische" Überwachung
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Information über Pläne, Absichten, Maßnahmen und andere Aktivitäten gegen die DDR und verschiedene sozialistische Staaten unter Mißbrauch der Olympischen Sommerspiele 1972 in München
Information über Pläne, Absichten, Maßnahmen und andere Aktivitäten gegen die DDR und verschiedene sozialistische Staaten unter Mißbrauch der Olympischen Sommerspiele 1972 in München
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Vorbereitung und Umsetzung der Überwachung von beantragten und genehmigten Reisen von DDR-Bürgern zu den Olympischen Spielen 1972 nach München
Vorbereitung und Umsetzung der Überwachung von beantragten und genehmigten Reisen von DDR-Bürgern zu den Olympischen Spielen 1972 nach München
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Berichterstattung über die Erfüllung bestimmter Aufgaben zu den Olympischen Sommerspielen 1972
Berichterstattung über die Erfüllung bestimmter Aufgaben zu den Olympischen Sommerspielen 1972
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Touristendelegation absichern
Obwohl der DDR laut offiziellem Verteilerschlüssel des Internationalen Olympischen Komitees ein Kontingent von 100.000 Karten zustand, durften weniger als 2000 Zuschauer teilnehmen. Dies bedeutete ein geringeres Risiko unliebsamer Zwischenfälle. Und wer überhaupt nach München reisen durfte, war speziell hierfür ausgewählt und geschult worden. Bei verpflichtenden Informationsveranstaltungen wurden die Vorzüge des Sozialismus und die Nachteile der kapitalistischen Gesellschaftsordnung herausgestellt. Die Touristen sollten politisch gefestigt und vom Sozialismus überzeugt nach München fahren, damit keine kritischen Stimmen laut werden würden. Mindestens 25 Jahre alt und verheiratet sollten die Touristen sein. Sie konnten nur ohne Partner reisen und durften keine Verwandten im Westen besitzen. Da in München keine konzentrierte Unterbringung möglich war, wurden die ostdeutschen Zuschauer in den Kleinstädten Oberaudorf, Mühlbach und Kiefersfelden einquartiert – eine gewisse Entfernung zur Großstadt München bedeutete auch weniger Kontakt mit anderen Touristen, Journalisten und Einheimischen. Außerdem mischte die Stasi natürlich Inoffizielle Mitarbeiter unter die Delegationen der ostdeutschen Touristen.
Touristendelegation absichern
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Vorschlag zur Teilnahme, Zusammensetzung und politischen Vorbereitung von Touristengruppen
Vorschlag zur Teilnahme, Zusammensetzung und politischen Vorbereitung von Touristengruppen
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Befehl Erich Mielkes zur Zusammenstellung der Touristendelegation
Befehl Erich Mielkes zur Zusammenstellung der Touristendelegation
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Information Anfragen - Spiele der XX. Olympiade 1972 in München
Information Anfragen - Spiele der XX. Olympiade 1972 in München
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Anfrage Bürger der Bundesrepublik - Information Spiele der XX. Olympiade 1972 in München
Anfrage Bürger der Bundesrepublik - Information Spiele der XX. Olympiade 1972 in München
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Extremes Training und Zwangsdoping-System
Die DDR-Athleten standen vor Olympia unter großen sportlichen Druck, um die Vorgaben zu erfüllen. Zwar fanden sie sehr gute Trainingsbedingungen vor, mussten sich aber auch sogenannten "begleitenden Maßnahmen" unterwerfen. Hinter diesem Begriff, in den Akten auch als "unterstützende Mittel" und "medizinische Versorgung" bezeichnet, verbarg sich das staatlich verordnete Doping. Obwohl dies erst im weiteren Verlauf der 70er Jahre große Verbreitung fand, wurden auch schon vor den Olympischen Spielen von 1972 Präparate getestet; bei der Sportvereinigung der Stasi (SV Dynamo mit Erich Mielke als Vorsitzendem) beispielsweise seit 1964. Diese Anabolikaforschung wurde nun auch für die Olympiakader genutzt – und trug zum sportlichen Erfolg gewiss bei. Denn in der Nationenwertung landete die DDR mit 20 Gold-, 23 Silber- und 23 Bronzemedaillen auf dem dritten Platz. Mit insgesamt 66 Medaillen war die DDR der größeren Bundesrepublik mit 40 Medaillen deutlich überlegen.
Extremes Training und Zwangsdoping-System
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Forschungsstand bei der Verabreichung von Anabole Steroide an Olympiakadern der Sektion Schwimmen
Forschungsstand bei der Verabreichung von Anabole Steroide an Olympiakadern der Sektion Schwimmen
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Information Olympiaaufträge/Olympiakader
Information Olympiaaufträge/Olympiakader
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Das Attentat des "Schwarzen September"
Die Olympischen Spiele in München werden in der kollektiven Erinnerung vor allem durch das Attentat vom 5. September 1972 überschattet. Acht Terroristen der palästinensischen Gruppierung "Schwarzer September" überfielen an diesem Tag das Quartier der israelischen Mannschaft im Olympischen Dorf, ermordeten sofort zwei Sportler und nahmen neun weitere als Geiseln. Sie wollten rund 200 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen sowie die RAF-Mitglieder Andreas Baader und Ulrike Meinhof freipressen. Ein ungeschickter Befreiungsversuch der bayerischen Polizei scheiterte; alle neun israelischen Geiseln, ein Polizist und fünf der acht Attentäter kamen ums Leben. Die Geiselnahme fand genau gegenüber dem Quartier der DDR-Mannschaft statt; die anwesenden Stasi-Mitarbeiter nutzten dies und dokumentierten die Vorgänge.
Das Attentat des "Schwarzen September"
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Dokumentation über die Ereignisse des 5. Septembers im Olympischen Dorf
Dokumentation über die Ereignisse des 5. Septembers im Olympischen Dorf
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Überprüfung der Informationen
Unmittelbar nach dem Terroranschlag berichtete eine "zuverlässige inoffizielle Quelle" der Hauptabteilung XX/3 (Sport), dass es im Vorfeld Hinweise auf einen bewaffneten Überfall gegeben habe. Quelle sei ein bundesdeutscher Wirtschafts-Journalist gewesen. Das MfS hatte diese Information überprüft, jedoch keine weiteren Anzeichen für einen Terrorakt während der Olympischen Spiele erkennen können. Dabei ist fraglich, ob der Journalist wirklich Insider-Kenntnisse besessen hatte - oder ob er sich nur wichtigmachen wollte.
Überprüfung der Informationen
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Information - Hinweise zu dem bewaffneten Überfall im olympischen Dorf
Information - Hinweise zu dem bewaffneten Überfall im olympischen Dorf
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Vermerk - Überprüfung vorliegende Hinweise
Vermerk - Überprüfung vorliegende Hinweise
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Erfolgreiche Überwachung
Insgesamt war die Stasi mit ihrer geheimpolizeilichen Arbeit zufrieden. Aus der Überwachung der Touristendelegation und der "Absicherung" der DDR-Mannschaft konnte sie Rückschlüsse für die Vorbereitung des nächsten sportlichen Großereignisses ziehen: die Fußballweltmeisterschaft in der Bundesrepublik zwei Jahre später.
Erfolgreiche Überwachung
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Abschlußbericht "Olympische Sommerspiele 1972 in der BRD"
Abschlußbericht "Olympische Sommerspiele 1972 in der BRD"
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Zusammenstellung operativ bedeutsamer Anhaltspunkte in Auswertung der Berichte über den Einsatz der IM/GMS bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München
Zusammenstellung operativ bedeutsamer Anhaltspunkte in Auswertung der Berichte über den Einsatz der IM/GMS bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München
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Information über die Haltung der zu den Olympischen Sommerspielen 1972 in München weilenden DDR-Delegation und über gegen sie gerichtete Aktivitäten
Information über die Haltung der zu den Olympischen Sommerspielen 1972 in München weilenden DDR-Delegation und über gegen sie gerichtete Aktivitäten
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Weitere Erfolge für die DDR
Diese Phase der Entspannungspolitik und der friedlichen Koexistenz wurde durch die Unterzeichnung des Grundlagenvertrages zwischen den beiden deutschen Staaten im Dezember 1972 und den Beitritt der DDR zu den Vereinten Nationen (UN) im September 1973 geprägt. Mit den Olympischen Spielen von 1972 und dem Sportprotokoll von 1974 erreichte Ostberlin endgültig, dass die Bundesrepublik bei großen Sportveranstaltungen die politischen Symbole der DDR hinnahm. Jetzt konnten auch wieder mehr innerdeutsche Sportwettkämpfe stattfinden. .
Der Sport hatte der DDR den Weg zu ihrer internationalen Anerkennung erleichtert. Ostberlin konnte die Bundesrepublik mit sportlichen Erfolgen sogar oftmals überflügeln, und das unter großer Beachtung der Weltöffentlichkeit. Bei den Olympischen Spielen in Montreal 1976 etwa belegte die DDR im Medaillenspiegel den zweiten Platz, die Bundesrepublik den vierten Rang.
Weitere Erfolge für die DDR