Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 109/65, Bd. 9, Bl. 78-79-81
Aus verschiedenen Gründen kehrten Flüchtlinge aus der DDR wieder zurück in ihre Heimat. Die Gründe waren jedoch selten politisch motiviert.
Menschen, die aus der DDR geflüchtet waren, kehrten mitunter aus den verschiedensten Gründen nach einiger Zeit wieder zurück. Das SED-Regime hatte zu diesen Rückkehrern eine sehr zwiespältige Haltung. Einerseits befürchtete man, dass sich unter ihnen "vom Feind eingeschleuste Agenten" befänden – zumal die Gründe für die Rückkehr in die DDR selten politische waren. Andererseits waren die Rückkehrer prädestiniert, in der Öffentlichkeit die Vorzüge der DDR gegenüber der BRD zu propagieren. Gleiches galt auch für Zuziehende aus der Bundesrepublik. Aus diesem Grund errichtete die DDR zu Beginn der 50er Jahre an den Grenzübergangsstellen spezielle Baracken, die sogenannten Rückkehrerheime. In ihnen war auch die Staatssicherheit präsent, um die Rückkehrer und Neuankömmlinge zu überprüfen. Im Juni 1960 erschien in der französischen Tageszeitung "Le Monde" ein Zeitungsbericht, den die Stasi als Abschrift zu ihren Akten nahm. Er verdeutlicht die Ambivalenz von SED und MfS gegenüber den Zuzüglern.
Und es ist nicht das einzige seiner Art. Es gibt noch vier weitere in Berlin, Magdeburg (Barby), Eisenberg, bei Eisenach und in Mecklenburg, im Norden der DDR (Pritzier). Die Aufnahmefähigkeit dieser Lager, die für einen Durchgang bestimmt sind, der im Prinzip zwei Wochen nicht überdauern soll, beträgt 2000 Betten. Insgesamt sollen sie 1959 63 000 Ankömmlinge aufgenommen haben, das sind 7 Prozent mehr als 1958 und etwa die Hälfte der in Bonn veröffentlichten Zahl für die Flüchtlinge aus dem Osten (143 917), 1953 soll der Anteil in der einen Richtung 52 900 gegenüber 204 092 in der anderen Richtung betragen haben. Der Fortschritt ist - wie man sieht - sehr rasch. In Eisenach schreibt man diesen unleugbaren Zustrom dem Gegensatz zwischen der friedlichen Entwicklung in der DDR und der eines als vorfaschistisch und militarisiert bezeichneten Staates zu. In Ostberlin besteht man fest darauf, daß 70 Prozent der Ankömmlinge junge Leute sind, deren Alter zwischen 18 und 25 Jahren liegt. Daraus folgert man, daß die Weigerung, den Einberufungen der Bundeswehr zu folgen, die Hauptursache für diese Rückkehr ist. Damit wäre Strauß der große Zulieferer von Flüchtlingen aus der Bundesrepublik.
Es war interessant, diese These mit den Erklärungen d er Ankömmlinge zu konfrontieren. Auch in Gegenwart eines Funktionärs des Innenministeriums , dessen Knopfloch ein Parteiabzeichen zierte, empfinden sie keine Hemmung, ihre Meinung mit sichtlicher Aufrichtigkeit in einem ganz anderen Sinne au äußern.
Die meisten nannten kein politisches Motiv, um einerseits ihre Entscheidung zu erklären, die DDR zu verlassen, wenn es nur eine Hin- und Rückreise war, und andererseits auch ihren Entschluß zu begründen, wieder zurückzukehren. In dem einen wie auch in d em anderen Falle ist am verblüffendsten das völlige Ausbleiben von Argumenten der Art, wie die Propaganda auf beiden Seiten sie ihnen gerne unterschiebt. Hören wir selber einige, die die DDR 1956 im Alter von 18 Jahren verlassen haben. Angeführte Gründe: Streit mit dem Werkmeister, Ablehnung einer Gehaltserhöhung oder ganz einfach Abenteuerlust und Neugierde. Die Frauen sind nicht die letzten, die solche Begründung abgeben. Eingestandene Gründe für die Rückkehr: Heimweh, Sehnsucht nach der Familie, Notwendigkeit, einen lohnenden Beruf zu erlernen oder das Studium fortzusetzen. Auf die Frage: "Haben Sie nicht vier Jahre verloren?", antwortet ein junger "Deserteur aus der demokratischen Republik": “Etwas Erfahrung zu sammeln, schadet nie." Kurz: den eisernen Vorhang in Deutschland zu überschreiten, erscheint vielen jungen Leuten sehr stark als eine traditionelle Reise durch das Land.
Was Herrn Strauß angeht, antworten die jungen Leute:
"Er hat versucht, uns zu kriegen, aber wir marschieren nicht. Wir bringen nicht mehr viel Interesse für die Uniform auf." Es scheint, daß viele Aufgerufene der Bundeswehr sich der Musterung nicht stellen. Schließlich sprechen unter den Rückkehrern viele von der Furcht, die man im Westen den Menschen durch ein Gesetz der DDR einjagt, in welchem gerichtliche Strafen auf Verlassen des Landes enthalten sind. Obgleich die
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
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Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 109/65, Bd. 9, Bl. 78-79-81
Aus verschiedenen Gründen kehrten Flüchtlinge aus der DDR wieder zurück in ihre Heimat. Die Gründe waren jedoch selten politisch motiviert.
Menschen, die aus der DDR geflüchtet waren, kehrten mitunter aus den verschiedensten Gründen nach einiger Zeit wieder zurück. Das SED-Regime hatte zu diesen Rückkehrern eine sehr zwiespältige Haltung. Einerseits befürchtete man, dass sich unter ihnen "vom Feind eingeschleuste Agenten" befänden – zumal die Gründe für die Rückkehr in die DDR selten politische waren. Andererseits waren die Rückkehrer prädestiniert, in der Öffentlichkeit die Vorzüge der DDR gegenüber der BRD zu propagieren. Gleiches galt auch für Zuziehende aus der Bundesrepublik. Aus diesem Grund errichtete die DDR zu Beginn der 50er Jahre an den Grenzübergangsstellen spezielle Baracken, die sogenannten Rückkehrerheime. In ihnen war auch die Staatssicherheit präsent, um die Rückkehrer und Neuankömmlinge zu überprüfen. Im Juni 1960 erschien in der französischen Tageszeitung "Le Monde" ein Zeitungsbericht, den die Stasi als Abschrift zu ihren Akten nahm. Er verdeutlicht die Ambivalenz von SED und MfS gegenüber den Zuzüglern.
Funktionäre es ableugnen, scheint dieses Gesetz immer noch in Kraft zu sein, und die Tatsache, daß es heute nicht angewendet wird, schafft die Drohung nicht aus der Welt. "Wenn es nicht bestünde, kämen noch mehr Menschen zurück", bekräftigen die Heimgekehrten.
Ein anderes, noch ernsteres Motiv, das hauptsächlich von den Frauen genannt wird: keine angesessenen Wohnungen in der Bundesrepublik, Zimmer in Untermiete für 80 bis 100 DM monatlich, Kind gezwungen, lange Monate ohne Bett im Wagen zu verbringen. Zahlreiche Familien führen bei ihrer Rückkehr in die Demokratische Republik ihr Mobiliar mit und überschreiten die Grenze mit Sack und Pack.
So bildet sich nach und nach – neben dem Strom aus dem Osten nach dem Westen – ein umgekehrter Strom aus dem Westen nach dem Osten, der die wirtschaftlichen Fortschritte der DDR erweitern und vervielfachen könnte.
Darf man daraus auf ein wachsendes Prestige des Regimes oder zumindest auf die tiefe Zugehörigkeit der Bürger, die zu ihm zurückkehren oder aus dem Westen zu ihm kommen, schließen? Offenbar nicht. Trotz der unleugbaren Fortschritte im Lebensstandard, trotz der mäßigen Mietpreise, trotz der verhältnismäßig billigen Preise für lebensnotwendige Waren - sogar für Dauergüter (der Wartburg kostet 17 000 Mark - , trotz der wirklich entscheidenden Fortschritte im Wohnungsbau (seit 1958 baut man im Verhältnis zur Kopfzahl der Bevölkerung ebensoviel Wohnungen wie in West-Berlin), trotz der Erfolge des Regimes auf außenpolitischer Ebene, namentlich bei den unterentwickelten oder entkolonisierten Ländern, trotz der Großtaten der sowjetischen Technik, trotz der Entspannung und trotz allem, was die Männer des Plans oder der Regierung tun, das Schicksal der Bevölkerung zu verbessern und es auf ein der Bundesrepublik vergleichbares Niveau zu heben, tritt die Masse dieser Bevölkerung nicht aus ihrer Apathie hervor.
”Indifferenz” ist das Wort, das man überall zu hören bekommt, wenn man die Einstellung von 99 Prozent der Bürger der DDR bezeichnet. Krasse Indifferenz, die weder durch das Wiederkäuen von Losun- gen noch durch eine Vielzahl von Demonstrationen, weder durch Propagandakampagnen — wenn sie nicht gerade, wie dies bei den Bauern der Fall ist , direkt die Interessen einer bestimmten Kategorie berühren - zu erschüttern ist. Wir müssen am 1. Mai die Fahnen hissen? Hissen wir sie eben. Wir müssen Spruchbänder für den 8. Mai ankleben? Kleben wir sie eben an. Wir müssen auf dem Marx-Engels- Platz marschieren? Marschieren wir eben. Manche Leute bezeichnen diese Indifferenz ohne Zögern als schlimmer als Aufruhr und behaupten, sie zögen einen offenen Widerstand vor. "Früher regte sich zumindest etwas, selbst in der Partei. Jetzt herrscht eine völlige starre Unbeweglichkeit . Seit der Geschichte mit Harich [Anmerkung: gemeint ist Wolfgang Harich] ist es auch in der Partei aus. Es gibt keine Diskussion, es gibt gar nichts mehr.”
Andere geben diese Indifferenz durchaus zu, vertrösten sich aber auf die Zukunft und setzen alle gegenwärtigen Schwierigkeiten auf die Rechnung der "Übergangsperiode". Aber „durch vieles Ver- sprechen, daß die letzten Kräfte dieses Mal eingesetzt werden, wird man sie schließlich wirklich erschöpfen”. Ostdeutschland überspringt Entwicklungsstufen, aber die Menschen folgen nicht nach...
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
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