Äußerungen Willy Brandts und anderer West-Berliner SPD-Funktionäre zur Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel
Signatur: BStU, MfS, HV A, Nr. 207, Bl. 50-54
Im Mai 1965 nahmen Israel und die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen auf. Bereits im Vorfeld berichtete die Stasi, wie sich West-Berliner SPD-Politiker dazu äußerten.
Am 12. Mai 1965 vereinbarten Bundeskanzler Ludwig Erhard und der israelische Premierminister Levi Eschkol die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Dem Datum war eine jahrelange offizielle und geheime Annäherung zwischen Israel und der Bundesrepublik vorausgegangen.
Die DDR dagegen unterhielt – anders als die übrigen Staaten des Ostblocks – zu keinem Zeitpunkt diplomatische Beziehungen zu Israel. Mit ihrer offen antizionistischen Haltung fand die DDR zunehmend Anerkennung in der arabischen Welt. Im Gegensatz dazu verlor die Bundesrepublik wegen ihrer Unterstützung Israels bei den arabischen Ländern an Ansehen und musste befürchten, dass diese die DDR als souveränen Staat anerkennen könnten.
Die westdeutsche Außenpolitik war zu dieser Zeit von der "Hallstein-Doktrin" geprägt. Nahm ein Land diplomatische Beziehungen zur DDR auf, wertete die Bundesrepublik dies als "unfreundlichen Akt", der zum Abbruch der diplomatischen Kontakte führen konnte.
Rund vier Monate vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen war es zu einem Affront gegen die Bundesrepublik gekommen. Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser hatte den höchsten Repräsentanten der DDR, den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, als offiziellen Staatsgast eingeladen. Es war das erste Mal, dass ein Staat außerhalb des Ostblocks der DDR diese Möglichkeit bot. Vom 24. Februar bis 2. März 1965 besuchte Ulbricht Ägypten. Das Land war ein einflussreiches Mitglied der Organisation blockfreier Staaten und tonangebende Macht der Arabischen Liga.
Die Einladung Nassers an Ulbricht erfolgte auch als Antwort auf die jahrelangen, geheim gehaltenen Lieferungen von Waffen, Panzern und militärtauglichen Flugzeugen der Bundesrepublik an Israel. Bereits Ende 1957 hatte es Sondierungen dazu gegeben, zwischen dem bundesdeutschen Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß und dem Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums Schimon Peres. In den folgenden Jahren dann lieferte die Bundesrepublik die zugesagte Militärausrüstung verschleiert über Frankreich an Israel. Im Oktober 1964 wurde dieser – bis dahin geheime – Handel publik und sorgte für große Aufregung im arabischen Lager.
Aus einer internen Sitzung der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses in West-Berlin gewann die Stasi Informationen über deren Einschätzung zu einer möglichen Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel. An der Sitzung nahm auch der Regierende Bürgermeister von Berlin und SPD-Bundesvorsitzende Willy Brandt teil. Der Bericht wurde am 4. Dezember 1964 verfasst. Zu diesem Zeitpunkt waren die geheimen Waffenlieferungen der Bundesrepublik an Israel schon gut einen Monat publik.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Hauptverwaltung Aufklärung
- Datum:
- 4.12.1964
- Rechte:
- BStU
- Überlieferungsform:
- Dokument
Er habe damals kategorisch festgestellt: Es werde kein Passierscheinabkommen geben, wenn die östliche Seite auf ihren Standpunkt beharrt. So sei die Frage ausgeklammert geblieben. Wer ein aufmerksamer Zeitungsleser sei, wisse Bescheid. Wer das "Neue Deutschland" liest, der sei sogar sehr gut informiert. Schon seit geraumer Zeit sei im "Neuen Deutschland" eine Lesebriefkampagne angelaufen, und man wisse ja, wie so etwas gemacht werde.
Der Senat sei keineswegs tatenlos gewesen, sondern habe der Bundesregierung konkrete Vorschläge unterbreitet, wie das Problem zu regeln sei. Diese Vorschläge ließen sich im Rahmen eines Clearing-Abkommens verwirklichen (im Rahmen der Interzonen-Treuhandstelle). Diese Frage sei nicht nur ein Westberliner Problem, es sei vielmehr ein Problem der beiden Währungsgebiete. Schon aus diesem Grund hatte sie im Passierscheinabkommen, das nur für Westberlin gilt, nichts zu suchen. Im Hinblick auf die Reisen der Rentner in die Bundesrepublik und nach Westberlin habe Pankow nun diese Frage in eigener Machtvollkommenheit geregelt.
Die Maßnahme des Ostens, daß drei Mark für Westberliner und fünf Mark für Westdeutsche und Ausländer umgetauscht werden müssen, könne zu dem Standpunkt verleiten, daß dies ein Bruch des Passierscheinabkommens sei, soweit es Westberliner betrifft.
Es soll Leute geben, die der Meinung sind, man soll nun das Passierscheinabkommen aufkündigen, und zwar schon in der Weihnachtsperiode. Aufkündigen sei im Grunde Selbstbetrug, denn das könne man nicht mehr, da die Passierscheine schon ausgegeben sind. Folglich beständen nur zwei Möglichkeiten:
1. Die Westberliner Polizei schließe von Westberliner Seite aus die Grenzen nach dem Osten, oder
2. die Bevölkerung Westberlins werde aufgerufen, von ihren Passierscheinen keinen Gebrauch zu machen.
[Diese Aufzählungen wurden handschriftlich markiert.]
Auch die letzte Möglichkeit sei fragwürdig, da diese in sich eine weitere Spaltung zur Folge hätte, in Westberliner, die rübergehen und solche, die nicht rübergehen. Weiterhin müsse er fest-