Aktennotiz über die versuchte Einreise Ulrike Meinhofs in die DDR unter dem Namen Michèle Susanne
Signatur: BStU, MfS, HA XX, ZMA, Nr. 496, Bl. 16-19
Im August 1970 wollte die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof in Ost-Berlin ausloten, ob die Gruppe den "bewaffneten Kampf" von dort aus koordinieren könnte. Im Gebäude des Zentralrats der FDJ sprach sie mit FDJ-Sekretär Erich Rauh. Sein Bericht gelangte in die Hände der Staatssicherheit.
Anfang der siebziger Jahre entstanden in der Bundesrepublik linksterroristische Gruppen, wie die Rote Armee Fraktion (RAF) und die Bewegung 2. Juni. Die Staatssicherheit befürchtete zunächst, dass die Gewalt der Linksterroristen auch in die DDR "überschwappen" könnte. Mitglieder beider Gruppen reisten gelegentlich durch die DDR, teilweise mit Handfeuerwaffen und unter falschem Namen und damit unerkannt.
Tatsächlich hofften die Terroristen, in der DDR ein sicheres Hinterland zu finden. Dies wollte etwa Ulrike Meinhof, als Mitglied der RAF bereits steckbrieflich gesucht, im August 1970 ausloten. Mit einem falschen Pass reiste sie in die DDR ein und verlangte im Gebäude des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend (FDJ) mit "verantwortlichen Genossen" ein Kontaktgespräch zu führen. Stattdessen führte sie ein kurzes Gespräch mit FDJ-Sekretär Erich Rauh. Der machte ihr keinerlei Zusagen.
Den Linksterrorismus im Westen offen zu unterstützen erschien den Herrschenden in der DDR als politisch zu heikel. Wäre dies ruchbar geworden, hätte das einen schweren Imageschaden und diplomatische Verwerfungen zur Folge gehabt. Dies wollten das MfS und die SED nicht riskieren. Es kam hinzu, dass "individueller Terror" aus traditionell marxistischer Sicht als kritikwürdig galt.
Aus diesem Grund und wegen seiner mangelnden Entscheidungsbefugnisse hielt Rauh Meinhof bei ihrem Besuch am 17. August 1970 hin. Als sie am darauf folgenden Tag nochmals unter falschem Namen einzureisen versuchte, wurde sie am Grenzübergang Friedrichstraße abgewiesen.
Der vorliegende Bericht Erich Rauhs war ursprünglich nicht für die Staatssicherheit gedacht, wie aus dem Anschreiben hervorgeht. Rauh jedenfalls hatte keine Kenntnis darüber, dass sein Schriftstück in den Händen der Geheimpolizei landete.
Metadaten
sei Westberlin, sie würde sich dort zusammen mit anderen Freunden verbergen. Ihre beiden Kinder seien bei Bekannten sicher untergebracht. Ulrike M. gab an, daß sie auf einem französischen Paß unter dem Namen Michel Ree in die DDR eingereist sei. Vorher hätte es ihrerseits bereits eine DDR-Durchreise gegeben. Auf meine Bemerkung, daß es nicht Sache der DDR sein kann den Widerstand in Westberlin zu organisieren, und daß es unüberlegt von ihr sei, zum Zentralrat der FDJ zu kommen, da der Zentralrat für sie kein Partner sein könne, antwortete sie: Sie suchen das Gespräch mit Genossen der SED, weil das für sie politisch wichtig wäre. Den Zentralrat der FDJ wollten sie natürlich nicht durch illegale Geschichten im Ausland belasten.
Ulrike M. sprach sich abfällig über die "Intellektuellen Linken" aus und sagte, diese würden nur "theoretische Linien" ausarbeiten, aber nicht bereit sein, den Kampf mitzuführen. Auf meine Bemerkung, daß die Auffassungen und das Wirken vieler Splittergruppen, die zugleich den Antiimperialismus und den Antikommunismus auf ihre Fahne geschrieben haben, dem antiimperialistischen Kampf nicht dienlich sei, antwortete sie: Man müßte sich eben über viele Fragen politisch verständigen.
Ich hatte den Eindruck, daß Ulrike M. nach einem Ausweg aus ihrer prekären Lage sucht und ziemlich ratlos ist. Sie machte einen hilflosen Eindruck.
Sie fragte zum Schluß nochmals, ob es mir nicht möglich sei, sofort mit verantwortlichen Genossen Verbindung aufzunehmen und ihren Wunsch weiter zu vermitteln. Ich erklärte ihr, daß mir das nicht möglich ist. Ich würde lediglich meine Genossen informieren und sie könnte evtl. am nächsten Tag nochmals vorbeikommen. Sie erklärte dann, daß sie am 18.08.1970 gegen 10.30 Uhr wieder vorsprechen wolle. Sie stellte noch die Frage, was