Signatur: BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AU, Nr. 76/53, Bd. 2, Bl. 48-51
Ein Postangestellter, der sich mit den Aufständischen des 17. Juni 1953 auf einer Baustelle in Groß Dölln solidarisiert und gegen die Regierung geäußert hatte, wurde wegen "Boykotthetze" angeklagt und durch das Bezirksgericht Neubrandenburg zu drei Jahren Haft verurteilt.
Der Bezirk Neubrandenburg war wie die anderen Bezirke im Norden auch kein Zentrum des Volksaufstandes. Ein wichtiger Grund hierfür war die agrarisch geprägte Struktur Mecklenburgs. Zudem gelangten die Nachrichten aus dem Süden der DDR nur langsam bis zur Bevölkerung im Norden. Polizei, MfS und SED waren hier ausnahmsweise besser informiert und konnten sich auf Unruhen vorbereiten.
Trotzdem kam es vereinzelt zu Unruhen. Im Bezirk Neubrandenburg kam es in 29 Städten und Gemeinden zu Aktionen, die von Streiks über Demonstrationen bis hin zu Versuchen reichten, politische Gefangene zu befreien. Einzelne Aktionen wie Forderungen nach Auflösung der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die Abnahme von Bildern führender Mitglieder der Staats- und Parteiführung an öffentliche Stellen oder Solidaritätskundgebungen mit den streikenden Arbeitern und Bauern führten zu Verhaftungen und Verurteilungen.
Am Abend des 17. Juni 1953 legten die Arbeiter auf der Großbaustelle des Flugplatzes in Groß Dölln die Arbeit nieder und stellten politische Forderungen auf. Ein Postangestellter, der sich mit den Aufständischen solidarisiert und gegen die Regierung geäußert hatte, wurde wegen "Boykotthetze" angeklagt und durch das Bezirksgericht Neubrandenburg zu drei Jahren Haft verurteilt.
sehe Demokratische Republik zu stürzen versuchen. Dieser Tag X war für der 17.06.1953 geplant. In Westberlin waren von dem Kaiser und Reuter systematisch Kriegsverbrecher, Militaristen und kriminelle Elemente zusammengefasst und mit Waffen, Schwefel- Phoshor und Benzinflaschen ausgerüstet. Diese zusammengefassten Banditen erhielten die Aufgabe die Arbeitsniederlegung ehrlicher Bauarbeiter durch Hetzlosungen in eine Demonstration gegen die Regierung zu verwandeln und dieser Demonstration durch Brandstiftungen, Plünderungen und Schiessereien den Charakter eines Aufruhrs zu geben. Das geschah nicht nur in Berlin, sondern das geschah auch an verschiedenen grösseren Orten des Gebietes der Deutschen Demokratischen Republik. Zur Auslösung dieser verbrecherischen Akte, benutzten die Feinde des Friedens die Misstimmung einiger Teile der Bevölkerung, die durch die Folgen der betriebenen Politik im letzten Jahr entstanden war. Nachdem die Regierung selbstkritisch zu den begangenen Fehlern Stellung nahm und verschiedene fehlerhafte Verordnungen im Interesse des Wohlergehens der Bevölkerung aufgehoben hatte, sahen die Kriegstreiber ihre Felle schwimmen und setzten den von ihnen bereits vor über einem Jahr geplanten Tag X für den 17.06.1953 fest.
In den verschiedenen Städten wurden Konsum- und HO Läden zerstört und ausgeplündert, Häuser in Brand gesetzt, fortschrittliche Menschen terrorisiert, sowie Menschen zur Arbeitsniederlegung bestimmt. Auch der Beschuldigte hat diese Situation für notwendig angesehen, werktätige Menschen von ihrer Arbeit abzuhalten, bzw. sie zum Streik aufzufordern und dabei gegen die Regierung, SED und Sowjetunion zu hetzen.
Der Beschuldigte hatte durch verschiedene Angestellte des Postamtes von den Provokationen in Berlin gehört. Bei diesen Unterhaltungen hat man auch die Frage aufgeworfen, warum der Präsident Wilhelm Pieck nichts von sich hören lassen, bzw. wo er sich befände. Der Beschuldigte gibt Bl. 19 d.A. zu, die gleiche Stellung eingenommen und Meinung vertreten zu haben, dass die Regierung sich fügen müsse, wenn die Arbeiter, die die Macht im Staate sind, nicht wollen. Zu einem gewissen [anonymisiert] äussert er sich, dass es richtig sei, wenn die Arbeiter endlich aufgestanden sind, um sich von der Unterdrückung freizumachen. (siehe Bl. 22 d.A.) Wie der Beschuldigte Bl. 23 d.A. erklärt, meinte er mit der Befreiung aus der Unterdrückung, die Befreiung von der SED, da diese an den hohen Normen schuld sei und damit auch an der schlechten Lebenslage der Arbeiter. Dem Zeugen [anonymisiert] gegenüber bekundete er mit Hinweis auf den Ausnahmezustand, dass niemand das Recht habe, die Arbeiter zur Arbeit aufzufordern, das durch den Ausnahmezustand die Regierung nicht mehr bestände und gesamtdeutsche Wahlen durchzuführen sind. Er vertrat auch die Ansicht, dass die Arbeiter, welche die Arbeit wieder aufnehmen, den strekenden Arbeitern in den Rücken fallen. Durch den Zeugen [anonymisiert] daraufhingewiesen, dass man doch die Forderung "Fort mit der Regierung" nicht stellen könne, da diese doch von den Arbeitern gewählt sei, äusserte der Beschuldigte, er habe sie nicht gewählt und die Wahl selbst, sei keine Wahl gewesen. In der weiteren Folge äusserte er sich dem Zeugen gegenüber, dass die Besatzungstruppen abziehen müssten, um endlich vernünftig leben zu können und dass die Sowjetsoldaten in Berlin die Arbeiter niederschiessen und man hier arbeiten solle. Durch den Zeugen [anonymisiert] ermahnt, dass dies eine Lüge sei, antwortete der Beschuldigte: "Ja, hier ist sowieso alles Schwindel und Betrug."
Dem Beschuldigten war daran gelegen, die verbrecherischen Provokationen faschistischer Elemente, die am 17.06.1953 im demokratischen Sektor Berlins stattfanden, auf seinen Dienstort zu übertragen. Einem gewissen [anonymisiert], der kein Interesse zeigte, die Arbeit niederzulegen, brachte er, mit dem Zeigefinger an die Stirm passend zum Ausdruck, dass er einen Vogel habe, wenn er weiter seiner Arbeit nachgehe.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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Signatur: BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AU, Nr. 76/53, Bd. 2, Bl. 48-51
Ein Postangestellter, der sich mit den Aufständischen des 17. Juni 1953 auf einer Baustelle in Groß Dölln solidarisiert und gegen die Regierung geäußert hatte, wurde wegen "Boykotthetze" angeklagt und durch das Bezirksgericht Neubrandenburg zu drei Jahren Haft verurteilt.
Der Bezirk Neubrandenburg war wie die anderen Bezirke im Norden auch kein Zentrum des Volksaufstandes. Ein wichtiger Grund hierfür war die agrarisch geprägte Struktur Mecklenburgs. Zudem gelangten die Nachrichten aus dem Süden der DDR nur langsam bis zur Bevölkerung im Norden. Polizei, MfS und SED waren hier ausnahmsweise besser informiert und konnten sich auf Unruhen vorbereiten.
Trotzdem kam es vereinzelt zu Unruhen. Im Bezirk Neubrandenburg kam es in 29 Städten und Gemeinden zu Aktionen, die von Streiks über Demonstrationen bis hin zu Versuchen reichten, politische Gefangene zu befreien. Einzelne Aktionen wie Forderungen nach Auflösung der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die Abnahme von Bildern führender Mitglieder der Staats- und Parteiführung an öffentliche Stellen oder Solidaritätskundgebungen mit den streikenden Arbeitern und Bauern führten zu Verhaftungen und Verurteilungen.
Am Abend des 17. Juni 1953 legten die Arbeiter auf der Großbaustelle des Flugplatzes in Groß Dölln die Arbeit nieder und stellten politische Forderungen auf. Ein Postangestellter, der sich mit den Aufständischen solidarisiert und gegen die Regierung geäußert hatte, wurde wegen "Boykotthetze" angeklagt und durch das Bezirksgericht Neubrandenburg zu drei Jahren Haft verurteilt.
Wie der Zeuge [anonymisiert] Bl. 41 d.A. unter anderem angibt, war es der Beschuldigte, der gelegentlich eines geführten Telefongespräches dem Teilnehmer gegenüber äusserte, "Da haben wir es, sind sie wieder den Arbeitern in den Rücken gefallen, na es wird Zeit, denn lange genug haben sie uns geknebelt."
Das Verhalten des Beschuldigten zeigt aber darüberhinaus, dass er die gegebene Situation auszunutzen versuchte, Werktätige Menschen gegen die Regierung bezw. gegen die S.E.D., nachdem beide den Werktätigen gegenüber zu den begangenen Fehler selbstkritisch Stellung genommen hatten, aufzuhetzen, das aber auch gegen die Rote Armee der alle Werktätigen verdanken, dass der Frieden bisher erhalten blieb. Er hat sich durch sein Tun vom Lager des Friedens abgesondert und den westimperialistischen Kriegstreibern, sowie den deutschen Handlagern bei ihren Vorbereitung zum Krieg Hilfe geleistet.
Dem Willen der Werktätigen entsprechend wird die demokratische Justiz über ihn das gerechte Urteil zu fällen haben.
Es wird beantragt:
1.) Das Hauptverfahren zu eröffnen
2.) Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen unter verkürzter Ladungsfrist gem. § 184 3110
3.) Die Haftfortdauer zu beschliessen.
Im Auftrage
[Unterschrift]
(Wegner)
Staatsanwalt
Vfg.:
1) Termin zur Hauptverhandlung vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Neubrandenburg wird auf
Montag, den 3. Jjli 1953, 14,00 Uhr
anberaumt.
2) Es sind zu laden: [abgehakt]
a) der Angeklagte mit Amklage und E - Beschluss, [abgehakt]
b) RA. Zumpe, Neubrandenburg als Offizialverteidiger, [abgehakt]
[handschriftliche Ergänzung: c) Zg. laut Anklage [abgehakt] gel. am 04.07.53 Tel. diesbzgl. ang. [unleserlich] gef. [unleserlich] [Unterschrift: Boe.] 03.07.53]
3) Nachricht vom Termin an die Staatsanwaltschaft. [abgehakt]
3) Zum Termin.
Nbg., den 3. Juli 1953.
Bezirksgericht - 1. Strafsenat
[Unterschrift: unleserlich]
(Oberrichter.)
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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Urteil gegen einen Brigadier wegen "Boykotthetze" während des Volksaufstandes Dokument, 12 Seiten
Urteil gegen Beteiligte einer Streikkundgebung während des Volksaufstandes in Groß Dölln Dokument, 3 Seiten
Abschlussbericht zum Untersuchungsvorgang gegen einen Lackierer wegen einer Provokation gegenüber eines Parteisekretärs während des Volksaufstandes Dokument, 3 Seiten