Anweisung Mielkes die Folgen der KSZE-Vereinbarungen abzuschätzen
Signatur: BStU, MfS, HA XXII, Nr. 5847, Bd. 2, Bl. 442-447
Wenige Tage nach Abschluss der KSZE-Konferenz in Helsinki 1975 wies Stasi-Minister Erich Mielke seine Mitarbeiter an, die Folgen der Unterzeichnung abzuschätzen.
Im August 1975 unterzeichnete die DDR die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Auf dem Papier verpflichtete sie sich damit zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Land. Nach der Unterschrift unter das Vertragswerk beauftragte jedoch die SED ihre Geheimpolizei, unerwünschte Nebenwirkungen, wie das Beharren der Menschen auf Ausreise oder zunehmende Westkontakte, zu bekämpfen – den Bürgern der DDR also weiterhin ihre Menschenrechte vorzuenthalten.
Schon wenige Tage nach Abschluss der Konferenz wies der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, alle Diensteinheiten an, die Folgen der Unterzeichnung für die ostdeutsche Geheimpolizei abzuschätzen. Die Mitarbeiter der Staatssicherheit sollten sich gründlich mit der Schlussakte von Helsinki und den Reden Honeckers und Breschnews zum Thema vertraut machen.
Für das MfS definierte Mielke die Aufgabe, frühzeitig zu erkennen, welche Gefahren sich aus den veränderten Rahmenbedingungen ergeben könnten. Von den einzelnen Diensteinheiten forderte er Informationen aus den "nichtsozialistischen Staaten" über das weitere Vorgehen in der Deutschlandpolitik, die Unterbindung von Forderungen nach Umsetzung der Beschlüsse im eigenen Land und Berichte über die Reaktionen in der Bevölkerung auf Helsinki.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Minister für Staatssicherheit
- Urheber:
- MfS
- Datum:
- 6.8.1975
- Rechte:
- BStU
Von besonderer politisch-operativer Bedeutung ist die Reaktion solcher Personenkreise in der DDR, die
- eine feindlich-negative Einstellung besitzen, revisionistische Positionen vertreten und zu verbreiten versuchen und als ideologische Stützpunkte des Gegners zu betrachten sind;
- bereits Anträge auf Obersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin, auf Eheschließungen mit Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin und auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR gestellt haben und deren Anträge von den zuständigen staatlichen Organen der DDR abgelehnt wurden;
- eine Antragstellung auf Ausreise aus den vorgenannten Gründen in nichtsozialistische Staaten und Westberlin beabsichtigen;
- besonders enge persönliche Beziehungen und Bindungen zu in nichtsozialistischen Staaten und Westberlin lebenden Personen unterhalten und eine politisch schwankende Haltung einnehmen (darunter vordringlich solche Personenkreise wie Wissenschaftler, Kultur- und Geistesschaffende, medizinische Intelligenz, Pädagogen, Studenten und Jugendliche).
Außerdem sind die Reaktion und die politisch-ideologischen Beeinflussungsversuche der einreisenden bzw. der sich in der DDR aufhaltenden Personen aus nichtsozialistischen Staaten - vor allem aus der BRD - und aias Westberlin einzuschätzen, insbesondere:
- Welche Personen bzw. Personenkreise aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin treten hauptsächlich in Erscheinung bzw. werden besonders wirksam?
- Welche Probleme stehen bei Kontakten mit DDR-Bürgern im Mittelpunkt politisch-ideologischer Beeinflussungsversuche?
- Welche Personenkreise der DDR werden besonders und zielstrebig beeinflußt?
Mit den Bezirks- und Kreisleitungen der SED, mit staatlichen und wirtschaftsleitenden Organen ist ein enges Zusammenwirken und die Übergabe entsprechender Informationen und Hinweise zu organisieren, um insbesondere die offensive politisch-ideologische Arbeit zur Abwehr der politisch-ideologischen Diversionstätigkeit des Gegners zu unterstützen und gemeinsam die Lage im Verantwortungsbereich jederzeit fest im Griff zu haben.