Brief von Heinz Galinski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, an Erich Honecker
Signatur: BArch, MfS, VRD, Nr. 11143, Bl. 166-167
Der West-Berliner Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski, wandte sich per Brief an Erich Honecker und bat darum, das Bauvorhaben einer Straße durch den jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee zu verhindern.
Ab Mitte der 80er Jahre widmete die SED-Führung den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern in der DDR zunehmend fürsorgliche Aufmerksamkeit. Grund dafür waren handfeste wirtschaftliche und außenpolitische Interessen. Man wollte jüdische Lobbyisten in den Vereinigten Staaten als Fürsprecher gewinnen, um Vorteile im Außenhandel zu erhalten und die Beziehungen zu den USA zu verbessern. Die neue Akzentuierung zeigte sich unter anderem darin, dass ab 1985 auch jüdische Widerstandskämpfer und Opfer geehrt wurden.
Für den jüdischen Friedhof an der Herbert-Baum-Straße in Berlin-Weißensee griff die DDR-Führung direkt in die Ost-Berliner Verkehrsplanung ein. Über das Gelände sollte eine Straße gebaut werden. Im März 1983 notierte die Stasi erste Proteste dagegen, im September 1986 schrieb der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde West-Berlins, Heinz Galinski, in dieser Sache an Erich Honecker. Er bat darum, den Autobahnbau zu stoppen. Die SED-Führung ordnete den Baustopp an, um Galinskis Wohlwollen gegenüber der DDR-Führung zu gewinnen.
Metadaten
Jüdische Gemeinde zu Berlin
ein bedrückendes Gefühl, zur Kenntnis nehmen zu müssen, daß eine Autostraße durch ihn führen soll.
Ein weiteres, vielleicht noch wichtigeres Argument bewog mich, mich persönlich an Sie, sehr geehrter Herr Staatsratsvorsitzender, zu wenden und um Ihre persönliche Intervention zu bitten.
In der Zeit ab Februar 1943, als fast die gesamte jüdische Bevölkerung bereits in die Todeslager deportiert war, gab es noch wenige Juden in Berlin. Auf dem Friedhof fanden regelmäßig Beerdigungen statt. Verantwortlich war der spätere Landesrabbiner Dr. h. c. Martin Riesenburger, der etwas einmaliges geleistet hat, und dessen Arbeit, die mit großem Risiko verbunden war, niemals in Vergessenheit geraten darf. Dr. h. c. Riesenburger hat sich bis zuletzt um diese Menschen gekümmert und Ihnen Beistand bewährt bis zu ihrem Tod und hat selbst an den Bestattungen mitgewirkt. In Berlin lebten damals mehr als 1.200 Personen illegal, die von der Gestapo gejagt wurden. Wir wissen, welche Gefahr Menschen auf sich nahmen, diesem Personenkreis Zuflucht zu gewähren. Eine große Anzahl dieser Menschen verstarb und wurde dann heimlich, auch unter großem Risiko, zum jüdischen Friedhof gebracht und dort beigesetzt. Diese Todesfälle durften nicht gemeldet werden. Wer wie Sie, sehr geehrter Herr Staatsratsvorsitzender, auch die damalige Situation der Verfolgten des umenschlichen Regimes kennt, kann ermessen, welche Gefahren Dr. Riesenburger und seine wenigen Mitarbeiter auf sich nahmen. Wie bereits erwähnt, fanden diese Beisetzungen heimlich und nachts statt und zwar auf dem Gelände, das jetzt als Straßentrasse vorgesehen ist. Dies war der einzige Ort, der nicht kontrolliert wurde. Die vielen Gräber wurden nicht besonders gekennzeichnet und niemand wußte daher, ob und wieviele jüdische Menschen dort bestattet wurden.
[Teile des Absatzes wurden am Rand handschriftlich markiert.]
Nun soll über diese Felder eine Straße gebaut werden. Das würde bedeuten, diese Ruhestätten, die vielleicht einmalig in der Geschichte der Verfolgung errichtet wurden, zu zerstören, Unser Anliegen ist es, Sie, sehr geehrter Herr Staatsratsvorsitzender, zu bitten, dies nach Möglichkeit verhindern zu wollen.
[Absatz wurde am Rand handschriftlich markiert.]
Sie werden auch die Unruhe vieler Menschen verstehen, die diese Sorge mit uns teilen. Ich weiß, daß gerade Sie, auch als ein ehemals Verfolgter des Naziregimes, dafür ein besonderes Verständnis Aufbringen werden. Falls weitere Auskünfte gewünscht werden, so stehe ich auch zu einer persönlichen Unterredung zur Verfügung.
Als Überlebender von Auschwitz bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Staatsratsvorsitzender, um eine wohlwollende Entscheidung dieses für uns so wichtigen Anliegens. Unzählige jüdische Menschen in aller Welt werden Ihnen dafür in besonderer Dankbarkeit verbunden sein.
[Absatz wurde am Rand handschriftlich markiert.]
Mit dem Ausdruck auch meiner besonderen Dankbarkeit
[Absatzes wurde am Rand handschriftlich markiert.]
Ihr
[Unterschrift]
Heinz Galinski