Signatur: BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5472, Bl. 34-35
Die Arbeitsgruppe Umweltschutz (AGU) veröffentlichte in ihrem Informationsblatt "Streiflichter" Eingaben zu einzelnen Umweltproblemen. Unter anderem forderten Umweltgruppen von den staatlichen Stellen Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität der Pleiße.
Im SED-Staat war die Umweltpolitik der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" untergeordnet. Umweltdaten unterlagen seit einem Beschluss des Ministerrates vom 16. November 1982 der Geheimhaltung. Schon seit den 70er Jahren wurde über Umweltverschmutzungen und deren gesundheitliche Folgen nicht mehr berichtet. Das Thema erfuhr dennoch in den 80er Jahren zunehmende Beachtung einer kritischen Öffentlichkeit, die im Gegensatz zur Partei- und Staatsführung nicht länger bereit war, die schwerwiegenden Folgen des ökologischen Raubbaus in der DDR stillschweigend hinzunehmen.
Mit ihren Forderungen nach kritischer Diskussion von Umweltrisiken entwickelte sich die oppositionelle Bewegung in der DDR vorwiegend in den stark industrialisierten Regionen der DDR zu einem Ärgernis für die SED-Spitze. Denn die Umweltgruppen prangerten die ökologische Untätigkeit und Verantwortungslosigkeit der Partei- und Staatsführung sowie der Wirtschaftsbetriebe an. Davon zeugt das Beispiel einer Umweltgruppe aus Leipzig.
Der Fluss Pleiße galt ursprünglich als Lebensader der Stadt Leipzig. Er wurde "verrohrt, verschüttet, abgedeckt und unterirdisch abgeleitet", weil er biologisch tot war und eine enorme Geruchsbelästigung darstellte. Im Volksmund als "Rio Phenole" bezeichnet, stand er beispielhaft für die Umweltsituation der Stadt und der geschundenen Region rings um Leipzig. Vor diesem Hintergrund gründeten Kirchenkreise bereits 1981 die AGU als eine der ersten Ökologiegruppen in der DDR, die mit den "Streiflichtern" auch ein Informationsblatt im Selbstverlag "Samisdat" herausgab. Über Auflagenhöhe, Adressatinnen und Adressaten war die Stasi ebenso informiert, wie über Kontakte der Gruppe in die Bundesrepublik und Aktivitäten dortiger Akteurinnen und Akteure.
Befasste sich die AGU anfangs noch mit Einzelproblemen des Umweltschutzes, brachte sie ab 1988 weitere gesellschaftliche Aspekte, wie Demokratiedefizite, zur Sprache, die das System grundlegend hinterfragten. Mit diesem Themenwechsel versuchte sie, die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Ab 1988 untermauerten sie ihre Forderungen durch die Veröffentlichung von Eingaben und den darauf folgenden Reaktionen. Empfänger waren zum Beispiel das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft oder der Ministerrat der DDR. Mit der vorliegenden Eingabe forderte der Arbeitskreis Weltumwelttag von der Regierung weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität der Pleiße.
9. Pleiße-Eingabe
9. Wie geht es weiter, Herr Minister? - Pleisse-Eingabe
Arbeitskreis Weltumwelttag
des Synodalausschusses der Basisgruppe Leipzig
i. V. A. Botz
Brandstr. 34
Leipzig
7030
An den
Ministerrat der DDR
Marx-Engels-Platz
Berlin
1020
Leipzig, den 04.06.1989
Eingabe
Antrag zur konsequenten Weiterführung der Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität der Pleiße
Das erschreckend hohe Ausmaß der Umweltverschmutzung im Raum Halle-Leipzig erfüllt uns als Christen und/oder engagierte Bürger dieses Landes mit großer Angst um alles Lebende. Als Erben und Teilhaber an der über Millionen Jahre währenden Geschichte der Natur und des Menschen haben wir nicht das Recht, uns und den kommenden Generationen auf diese Weise selbst die Lebensgrundlage zu zerstören. Unser Engagement für die Bewahrung der Schöpfung bedingt daher nicht nur ein hohes Maß an persönlicher Verantwortung für die Natur und die Gestaltung des eigenen Lebens nach ökologischen Gesichtspunkten, sondern auch die Pflicht, auf regionale und globale Umweltprobleme hinzuweisen und auf deren Lösung zu drängen.
Eines der Hauptanliegen der Veranstaltung "Christen zum Weltumwelttag 1989" ist der weiterhin ökologisch katastrophale Zustand der Pleiße. Über Jahrtausende hinweg wurde der Fluß durch die Menschen genutzt, ohne ihn zu zerstören. Selbst zu Zeiten der intensivsten Bewirtschaftung als Floßgraben und Energiequelle der Wassermühlen konnte durch Verordnungen der Stadt Leipzig eine hohe Wasserqualität aufrechterhalten werden. Nach Angaben Leipziger Bürger besaß die Pleiße noch 1945 Badequalität. Die katastrophale Verschlechterung der Wasserqualität erfolgte wahrscheinlich zu großen Teilen im Zeitalter unseres Staates, der DDR.
Trotz der erheblichen Aufwendungen zur Reinigung des Flusses - 200 Mio. Mark wurden in Böhlen und 100 Mio. Mark in Espenhain dafür investiert - muß festgestellt werden, daß das 1982 festgelegte Ziel, die Verschmutzung bis 1985 bis zu den gesetzlich festgelegten Grenzwerten abzubauen (1) und die Wasserqualität von Güteklasse IV auf Ilbis 1986 zu verbessern (2), nicht erreicht worden ist. Auch viele andere Vorhaben und Verpflichtungen sind bisher nicht eingehalten worden.
1952 wurde bekanntgegeben, daß 1954 die Flußsanierungsarbeiten abgeschlossen sein werden. (3). 1968 beschloß der Rat des Bezirkes, bis 1970/71 die Belastung der Pleiße um 65 % zu reduzieren. (4). 1978 wurde veröffentlicht: "In zehn Jahren, vielleicht schon früher, kann die Pleiße ein Anglerparadies sein". (5). Heute, im Jahre 1989, ist die Pleiße noch immer eine flüssige Kloake.
Die Pleiße 1/1989
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Signatur: BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5472, Bl. 34-35
Die Arbeitsgruppe Umweltschutz (AGU) veröffentlichte in ihrem Informationsblatt "Streiflichter" Eingaben zu einzelnen Umweltproblemen. Unter anderem forderten Umweltgruppen von den staatlichen Stellen Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität der Pleiße.
Im SED-Staat war die Umweltpolitik der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" untergeordnet. Umweltdaten unterlagen seit einem Beschluss des Ministerrates vom 16. November 1982 der Geheimhaltung. Schon seit den 70er Jahren wurde über Umweltverschmutzungen und deren gesundheitliche Folgen nicht mehr berichtet. Das Thema erfuhr dennoch in den 80er Jahren zunehmende Beachtung einer kritischen Öffentlichkeit, die im Gegensatz zur Partei- und Staatsführung nicht länger bereit war, die schwerwiegenden Folgen des ökologischen Raubbaus in der DDR stillschweigend hinzunehmen.
Mit ihren Forderungen nach kritischer Diskussion von Umweltrisiken entwickelte sich die oppositionelle Bewegung in der DDR vorwiegend in den stark industrialisierten Regionen der DDR zu einem Ärgernis für die SED-Spitze. Denn die Umweltgruppen prangerten die ökologische Untätigkeit und Verantwortungslosigkeit der Partei- und Staatsführung sowie der Wirtschaftsbetriebe an. Davon zeugt das Beispiel einer Umweltgruppe aus Leipzig.
Der Fluss Pleiße galt ursprünglich als Lebensader der Stadt Leipzig. Er wurde "verrohrt, verschüttet, abgedeckt und unterirdisch abgeleitet", weil er biologisch tot war und eine enorme Geruchsbelästigung darstellte. Im Volksmund als "Rio Phenole" bezeichnet, stand er beispielhaft für die Umweltsituation der Stadt und der geschundenen Region rings um Leipzig. Vor diesem Hintergrund gründeten Kirchenkreise bereits 1981 die AGU als eine der ersten Ökologiegruppen in der DDR, die mit den "Streiflichtern" auch ein Informationsblatt im Selbstverlag "Samisdat" herausgab. Über Auflagenhöhe, Adressatinnen und Adressaten war die Stasi ebenso informiert, wie über Kontakte der Gruppe in die Bundesrepublik und Aktivitäten dortiger Akteurinnen und Akteure.
Befasste sich die AGU anfangs noch mit Einzelproblemen des Umweltschutzes, brachte sie ab 1988 weitere gesellschaftliche Aspekte, wie Demokratiedefizite, zur Sprache, die das System grundlegend hinterfragten. Mit diesem Themenwechsel versuchte sie, die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Ab 1988 untermauerten sie ihre Forderungen durch die Veröffentlichung von Eingaben und den darauf folgenden Reaktionen. Empfänger waren zum Beispiel das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft oder der Ministerrat der DDR. Mit der vorliegenden Eingabe forderte der Arbeitskreis Weltumwelttag von der Regierung weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität der Pleiße.
10. Epilog: Der erste Schritt ist nur der Anfang
Wir erachten es in Anbetracht dieser Situation für notwendig, Sie dringlichst dazu aufzufordern, in den nächsten Fünfjahrplan der DDR entscheidende Maßnahmen gegen das existentiell bedrohliche Ausmaß der Umweltverschmutzung im Raum Halle-Leipzig einzuordnen. Einen Schwerpunkt sollte dabei die vollständige Sanierung der Pleiße bilden.
Eine Aussage wie:. "Nach Abschluß dieser Sanierungsmaßnahmen wird die Pleiße im Sauerstoffgehalt und organischer Bedeutung noch stark belastet sein. Eine noch weitergehende Sanierung des zwangsläufig hochbelasteten Gewässers im industriellen Ballungszentrum der Karbochemie ist dann volkswirtschaftlich nicht mehr vertretbar." (6) ist von unserem Standpunkt aus weder humanistisch noch ökologisch vertretbar.
Wir wenden uns an Sie, da immer wieder die Aussage getroffen wird, daß das Projekt zur Pleißesanierung unter Ihrer direktenKontrolle steht.
Wir bitten Sie daher, sich mit Tatkraft und Konsequenz für dieses Anliegen einzusetzen.
Arbeitskreis Weltumwelttag Leipzig
und Unterzeichner
Quellenverzeichnis:
(1) Sächsisches Tageblatt (ST) 13.05.1982: Aus Abwasser kein Trinkwasser
(2) Rettung für einen kranken Fluß - LVZ 08./09.10.1983
(3) ST 19.06.1952: Pleiße bald wieder sauber
(4) LVZ 29.04.1968: Ein Bad für Leipziger Flüsse
(5) ST 19.06.1978: Wenn Ionen "Hochzeit machen"
(6) Argumentation - Wasserbeschaffenheit der Pleiße, Rat der Stadt Leipzig, Abt. Umweltschutz und Wasserwirtschaft, 03.10.1987
10. Epilog: Der erste Schritt ist nur der Anfang
Unser Heft trägt die Nr. 1, weil wir vorhaben, jährlich zum Weltumwelttag das Pleiße-Thema weiter zu bearbeiten, bis sich ihr Zustand entscheidend gebessert hat. Allein können wir diese Arbeit natürlich nicht bewältigen. Deshalb bitten wir Leser und Sachverständige, uns mit Fakten, Daten, Fotos oder Erlebnisberichten zur Pleißeproblematik unter die Arme zu greifen. Kontaktadresse dafür ist: T. Hollitzer, Funkenburgstr. 19, Leipzig, 7010.
Zuletzt: Papier ist geduldig, und wer meint, daß z.B. seine Befürwortung unserer Eingabe als eigenes Handeln ausreicht, der macht sich's zu einfach. Mit Forderungen an andere ist noch nicht viel getan. Ebenso wichtig sind die Forderungen an sich selbst. So kann am Anfang eines konsequent umweltbewußten Lebens z.B. der vernünftige Umgang mit Haushaltchemikalien, die Teilnahme an einer Pleiße-Entrümpelungsaktion oder eine Eingabe wegen beobachteter Schadstoffeinleitungen von Betrieben stehen. Nur du mußt es tun! Möglichkeiten zum Handeln gibt es viele. Informationen, Literatur und die Umwelt-Arbeitsgruppen Leipzigs sind jeweils montags von 13-19 Uhr über die IG Umweltschutz beim Jugendpfarramt, 7010 Leipzig‚ Burgstr. 1-5, PF 1355, zu erreichen. Weitere aktive kirchliche Öko-Gruppen finden sich in Altenburg, Rötha, Zwickau, Karl-Marx-Stadt u.v.a. Orten. Auch die Gesellschaft für Natur und Umwelt freut sich über neue Mitstreiter.
Ein erster Schritt ist getan, und wir hoffen auf erfolgreiche
weitere.
Euer AKW (Arbeitskreis Weltumwelttag) - die Gruppe mit Ausstrahlung
Pleiße 1/1989
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Auskunftsbericht zur kirchlichen Arbeitsgruppe Umweltschutz Dokument, 6 Seiten
Bericht zum Trägerkreis für die Schaffung eines Kommunikationszentrums Dokument, 4 Seiten
Hinweis auf geplante Aktivitäten kirchlicher Umweltgruppen zum Weltumwelttag 1988 Dokument, 1 Seite
Maßnahmen zur Verhinderung des 2. Pleiße-Gedenkmarsches am 5. Juni 1989 in Leipzig Dokument, 1 Seite