Signatur: BArch, MfS, HA XXII, Nr. 407, Bd. 11, Bl. 58-70
Die Staatssicherheit begann sich nach dem Neonazi-Überfall auf die Zionskirche 1987 intensiver mit der rechtsextremen Bewegung in der DDR zu beschäftigen. Die Hauptabteilung XX analysierte die bisherige Arbeit der Geheimpolizei auf dem Gebiet der Skinheads und schlug weitere Maßnahmen für deren Bekämpfung vor.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Die Hauptabteilung XX der Stasi verzeichnete für das Jahr 1987 ca. 800 Skinheads in der DDR davon mehr als die Hälfte in Berlin und Potsdam. Für das Anwachsen rechtsextremer Tendenzen unter DDR-Jugendlichen sei auch die Entwicklung der Neonazi-Szene in der Bundesrepublik mitverantwortlich. Persönliche Kontakte zwischen westdeutschen und ostdeutschen Skinheads gäbe es z. B. bei Fußballspielen.Probleme bei der Bekämpfung von Skinheads sah die HA XX unter anderem darin, dass die DDR-Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend kaum Einfluss auf die rechtsextremen Jugendlichen ausübe. Auch sei das Bewusstsein für Neonazis in Betrieben und Schulen sowie in Gaststätten und Jugendklubs noch nicht ausreichend entwickelt. Eine der vorgeschlagenen Maßnahmen zur "Zurückdrängung und Unterbindung" der Skinheads war daher auch die "Nutzung der gegenwärtigen Gerichtsverfahren vor erweiterter Öffentlichkeit".
Ausschreitungen größeren Ausmaßes im Zusammenhang mit einer Punkmusikveranstaltung in der Zionskirche Berlin-Prenzlauer Berg (17.10.1987)
9 EV mit Haft (gegen die zu vier Rädelsführern ausgesprochenen Freiheitsstrafen wurde mit dem Ziel der Erhöhung des Strafmaßes staatsanwaltschaftlicher Protest eingelegt)
Absingen faschistischer Lieder im Jugendklub "Sophienstraße" Berlin-Mitte (20.11.1987)
4 EV mit Haft
Potsdam
Zerstörung und In-Brand-Setzen von Einrichtungen der Deutschen Reichsbahn in Zeuthen (Februar 1987)
5 EV mit Haft
Rowdyhafte Ausschreitungen im Anschluß an eine Jugendtanzveranstaltung in Velten, bei denen Teilnehmer verletzt und Gaststätteneinrichtungen zerstört sowie tätlich gegen Einsatzkräfte der DVP vorgegangen wurde (31.10.1987)
9 EV mit Haft
Zusammenschlagen mocambiquanischer Staatsbürger, verbunden mit herabwürdigenden Äußerungen in Dresden (11.9.1987)
5 EV mit Haft
3. Erkenntnisse über Kontakte/Verbindungen von DDR-Skinheads zu Skinheads in der BRD/Westberlin sowie weiteren Personen des NSA
Kennzeichnend für die politische Entwicklung in der BRD wie auch in Westberlin ist, daß sich der Einfluß rechtsextremistischer Kräfte auf Jugendliche verstärkt hat und ständig weiter zunimmt.
Rechtsextremistische Vereinigungen versuchen verstärkt, Skinheads, Rockergruppen und jugendliche Fußballfans auf neonazistische Ziele auszurichten.
Es liegen bestätigte Anhaltspunkte vor, daß neofaschistische Organisationen in der BRD/Westberlin Skinheadgruppierungen für ihre Zielstellungen nutzen. So wurde z.B. bekannt, daß Skinheads aus Westberlin/BRD als sogenanntes Wachkommando für neofaschistische Traditionstreffen und als Sicherungskommandos beim NPD-Parteitag in München eingesetzt wurden.
Diese Entwicklung der rechtsextremistischen Vereinigungen blieb nicht ohne Auswirkungen auf Entwicklungstendenzen unter negativ-dekadenten Jugendlichen in der DDR. Insbesondere durch die Reisetätigkeit von Skinheads aus dem Operationsgebiet in die DDR.
Sowohl von Skinheads aus der BRD bzw. aus Westberlin als auch von Skinheads aus der DDR gehen gezielte Aktivitäten zur Herstellung persönlicher Kontakte aus.
Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund)
Die Hauptabteilung XX bildete den Kernbereich der politischen Repression und Überwachung der Staatssicherheit. In Struktur und Tätigkeit passte sie sich mehrfach an die sich wandelnden Bedingungen der Herrschaftssicherung an. Die Diensteinheit ging 1964 durch Umbenennung aus der Hauptatbeilung V hervor, die ihrerseits in den Abteilungen V und VI (1950–1953) ihre Vorläufer hatte.
Die Hauptabteilung XX und die ihr nachgeordneten Abteilungen XX in den Bezirksverwaltungen (Linie XX) sowie entsprechende Arbeitsbereiche in den KD überwachten wichtige Teile des Staatsapparates (u. a. Justiz, Gesundheitswesen und bis 1986 das Post- und Fernmeldewesen), die Blockparteien und Massenorganisationen, den Kultur- und Sportbereich, die Medien und die Kirchen sowie SED-Sonderobjekte und Parteibetriebe. Federführend war die Hauptabteilung XX auch bei der Bekämpfung der "politischen Untergrundtätigkeit" (PUT), also der Opposition.
Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre und verstärkt seit dem Beginn der Entspannungspolitik fühlte sich das SED-Regime zunehmend durch die "politisch-ideologische Diversion" (PiD) bedroht. Die Schwächung der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" durch "ideologische Aufweichung und Zersetzung" galt als Hauptinstrument des Westens bei der Unterminierung der DDR. Auch bei der Bekämpfung der PiD hatte die Hauptabteilung XX innerhalb des MfS die Federführung.
Das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung (Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen) in der DDR führte in den 80er Jahren zu einem weiteren Bedeutungszuwachs der Linie XX. In der DA 2/85 bestätigte Minister Mielke dementsprechend die Federführung der Hauptabteilung XX bei der Bekämpfung der PUT.
Im Verlauf der fast 40-jährigen Entwicklung der Hauptabteilung XX veränderte sich ihre Struktur mehrfach. In der Endphase verfügte sie über neun operative Abteilungen und vier Funktionalorgane der Leitung (Sekretariat, Arbeitsgruppe der Leitung, Koordinierungsgruppe des Leiters, Auswertungs- und Kontrollgruppe).
Die Hauptabteilung V lag ab 1953 zunächst im unmittelbaren Anleitungsbereich von Mielke in seiner Eigenschaft als 1. Stellvertreter des Staatssicherheitschefs. Ab 1955 war der stellvertretende Minister Bruno Beater und 1964–1974 der stellv. Minister Fritz Schröder auf der Ebene der MfS-Leitung für die Hauptabteilung XX zuständig. Beide waren zuvor selbst (Beater 1953–1955, Schröder 1955–1963) Leiter der Hauptabteilung V. Seit 1975 gehörte die Hauptabteilung XX zum Verantwortungsbereich von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig. Von 1964 bis zur Auflösung des MfS leitete Kienberg die Hauptabteilung XX. Ihm standen seit 1965 zwei Stellvertreter zur Seite.
1954 waren in der Hauptabteilung V insgesamt 139 Mitarbeiter beschäftigt. Im Herbst 1989 verfügte die Hauptabteilung XX über 461 Mitarbeiter, von denen mehr als 200 als IM-führende Mitarbeiter eingesetzt waren.
In den 15 Bezirksverwaltungen waren auf der Linie XX im Oktober 1989 insgesamt knapp 1.000 Kader und damit auf der gesamten Linie XX fast 1.500 hauptamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Gleichzeitig konnte allein die Hauptabteilung XX mit etwas mehr als 1.500 IM auf einen überdurchschnittlich hohen Bestand an inoffiziellen Kräften zurückgreifen. Ihrem Aufgabenprofil entsprechend spiegelt sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Hauptabteilung XX auch die Geschichte von Opposition, Widerstand und politischer Dissidenz in der DDR. Im Herbst 1989 wurden von der Diensteinheit 31 Operative Vorgänge (10 Prozent aller Operativen Vorgänge im Berliner Ministeriumsbereich) und 59 Operative Personenkontrollen (8,7 Prozent) bearbeitet.
Mit Operationsgebiet bezeichnete das MfS zusammenfassend alle Länder, in denen bzw. gegen die es geheimdienstliche Aktionen durchführte. Zumeist waren damit die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin gemeint, der Begriff konnte aber auch jedes andere westliche oder neutrale Land einschließen. Aufgrund besonderer innenpolitischer Entwicklungen galten 1968/69 auch die Tschechoslowakei, spätestens seit den 70er Jahren faktisch Rumänien und in den 80er Jahren auch Polen als Operationsgebiet.
Signatur: BArch, MfS, HA XXII, Nr. 407, Bd. 11, Bl. 58-70
Die Staatssicherheit begann sich nach dem Neonazi-Überfall auf die Zionskirche 1987 intensiver mit der rechtsextremen Bewegung in der DDR zu beschäftigen. Die Hauptabteilung XX analysierte die bisherige Arbeit der Geheimpolizei auf dem Gebiet der Skinheads und schlug weitere Maßnahmen für deren Bekämpfung vor.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Die Hauptabteilung XX der Stasi verzeichnete für das Jahr 1987 ca. 800 Skinheads in der DDR davon mehr als die Hälfte in Berlin und Potsdam. Für das Anwachsen rechtsextremer Tendenzen unter DDR-Jugendlichen sei auch die Entwicklung der Neonazi-Szene in der Bundesrepublik mitverantwortlich. Persönliche Kontakte zwischen westdeutschen und ostdeutschen Skinheads gäbe es z. B. bei Fußballspielen.Probleme bei der Bekämpfung von Skinheads sah die HA XX unter anderem darin, dass die DDR-Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend kaum Einfluss auf die rechtsextremen Jugendlichen ausübe. Auch sei das Bewusstsein für Neonazis in Betrieben und Schulen sowie in Gaststätten und Jugendklubs noch nicht ausreichend entwickelt. Eine der vorgeschlagenen Maßnahmen zur "Zurückdrängung und Unterbindung" der Skinheads war daher auch die "Nutzung der gegenwärtigen Gerichtsverfahren vor erweiterter Öffentlichkeit".
Diese Kontakte dienen insbesondere
- dem Informationsaustausch über tätliche Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit sowie über Entwicklungen in der "Szene"
- der Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen und Bekleidungsstücken für DDR-Skinheads ("Bomberjacken", "Dogs"/Schuhe). Es liegen Einzelhinweise der BV Berlin vor, wonach durch namentlich bekannte Personen die Absicht geäußert wurde, sich "Selbstverteidigungswaffen", wie Tränengassprays, beschaffen zu wollen. Der Besitz derartiger Erzeugnisse bzw. deren Einsatz bei Vorkommnissen mit Skinheads wurde Jedoch nicht festgestellt.
- der Einfuhr faschistischer Literatur und Symbole.
Bedeutsame Kontakt hinweise wurden erarbeitet zu
- einer Gruppierung von Skinheads in der Hauptstadt der DDR, die persönliche Kontakte zu Mitgliedern der rechtsextremistischen Gruppierung in Westberlin "Nationalistische Front" (sogenannte Nachfolgeorganisation der 1983 verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" des Neonazis Kühnen) unterhielt
- weiteren Skinheads in der Hauptstadt der DDR, die von Skinheads und anderen Personen mit rechtsextremen Auffassungen aus Westberlin und der BRD (Hamburg) kontaktiert wurden
- einer Skinheadgruppierung im Bezirk Potsdam, an deren Treffen Skinheads aus Westberlin teilnahmen und z.T. mit Wohnmobil anreisten. Treffen dieser Personen fanden auch in der CSSR statt.
- Skinheads aus dem Bezirk Rostock, die persönliche Kontakte zu Personen in der BRD/Hamburg und Schweden unterhielten
- einem Jugendlichen aus Cottbus, der intensive Verbindungen zu einer Mitarbeiterin des "Sender 100"/Westberlin unterhält.
Durch die BV Berlin wurden insgesamt 131 Skinheads aus Westberlin erfaßt, die 1987 mit dem Ziel einreisten, Kontakte zu gleichgesinnten Personen in der Hauptstadt der DDR herzustellen.
Eingeleitete Einreisesperrmaßnahmen führten im wesentlichen zum Abbruch der persönlichen Kontakte, Jedoch werden im Rahmen des Einreiseverkehrs fortwährend Versuche zur Aufnahme neuer Kontakte unternommen.
Darüber hinaus bestehen auch weiterhin postalische Verbindungen.
Persönliche Kontakte entstehen auch beim gemeinsamen Besuch von Fußballveranstaltungen im sozialistischen Ausland. Diese haben sich zu einem wichtigen Bindeglied für Kontakte dieser Personenkreise entwickelt.
Indem sich Skinheads aus dem NSA und der DDR in Fanblocks integrieren, wirken sie z.T. zusammen bei Handlungen ausländerfeindlichen und faschistischen Charakters.
Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund)
Die Hauptabteilung XX bildete den Kernbereich der politischen Repression und Überwachung der Staatssicherheit. In Struktur und Tätigkeit passte sie sich mehrfach an die sich wandelnden Bedingungen der Herrschaftssicherung an. Die Diensteinheit ging 1964 durch Umbenennung aus der Hauptatbeilung V hervor, die ihrerseits in den Abteilungen V und VI (1950–1953) ihre Vorläufer hatte.
Die Hauptabteilung XX und die ihr nachgeordneten Abteilungen XX in den Bezirksverwaltungen (Linie XX) sowie entsprechende Arbeitsbereiche in den KD überwachten wichtige Teile des Staatsapparates (u. a. Justiz, Gesundheitswesen und bis 1986 das Post- und Fernmeldewesen), die Blockparteien und Massenorganisationen, den Kultur- und Sportbereich, die Medien und die Kirchen sowie SED-Sonderobjekte und Parteibetriebe. Federführend war die Hauptabteilung XX auch bei der Bekämpfung der "politischen Untergrundtätigkeit" (PUT), also der Opposition.
Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre und verstärkt seit dem Beginn der Entspannungspolitik fühlte sich das SED-Regime zunehmend durch die "politisch-ideologische Diversion" (PiD) bedroht. Die Schwächung der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" durch "ideologische Aufweichung und Zersetzung" galt als Hauptinstrument des Westens bei der Unterminierung der DDR. Auch bei der Bekämpfung der PiD hatte die Hauptabteilung XX innerhalb des MfS die Federführung.
Das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung (Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen) in der DDR führte in den 80er Jahren zu einem weiteren Bedeutungszuwachs der Linie XX. In der DA 2/85 bestätigte Minister Mielke dementsprechend die Federführung der Hauptabteilung XX bei der Bekämpfung der PUT.
Im Verlauf der fast 40-jährigen Entwicklung der Hauptabteilung XX veränderte sich ihre Struktur mehrfach. In der Endphase verfügte sie über neun operative Abteilungen und vier Funktionalorgane der Leitung (Sekretariat, Arbeitsgruppe der Leitung, Koordinierungsgruppe des Leiters, Auswertungs- und Kontrollgruppe).
Die Hauptabteilung V lag ab 1953 zunächst im unmittelbaren Anleitungsbereich von Mielke in seiner Eigenschaft als 1. Stellvertreter des Staatssicherheitschefs. Ab 1955 war der stellvertretende Minister Bruno Beater und 1964–1974 der stellv. Minister Fritz Schröder auf der Ebene der MfS-Leitung für die Hauptabteilung XX zuständig. Beide waren zuvor selbst (Beater 1953–1955, Schröder 1955–1963) Leiter der Hauptabteilung V. Seit 1975 gehörte die Hauptabteilung XX zum Verantwortungsbereich von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig. Von 1964 bis zur Auflösung des MfS leitete Kienberg die Hauptabteilung XX. Ihm standen seit 1965 zwei Stellvertreter zur Seite.
1954 waren in der Hauptabteilung V insgesamt 139 Mitarbeiter beschäftigt. Im Herbst 1989 verfügte die Hauptabteilung XX über 461 Mitarbeiter, von denen mehr als 200 als IM-führende Mitarbeiter eingesetzt waren.
In den 15 Bezirksverwaltungen waren auf der Linie XX im Oktober 1989 insgesamt knapp 1.000 Kader und damit auf der gesamten Linie XX fast 1.500 hauptamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Gleichzeitig konnte allein die Hauptabteilung XX mit etwas mehr als 1.500 IM auf einen überdurchschnittlich hohen Bestand an inoffiziellen Kräften zurückgreifen. Ihrem Aufgabenprofil entsprechend spiegelt sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Hauptabteilung XX auch die Geschichte von Opposition, Widerstand und politischer Dissidenz in der DDR. Im Herbst 1989 wurden von der Diensteinheit 31 Operative Vorgänge (10 Prozent aller Operativen Vorgänge im Berliner Ministeriumsbereich) und 59 Operative Personenkontrollen (8,7 Prozent) bearbeitet.
Signatur: BArch, MfS, HA XXII, Nr. 407, Bd. 11, Bl. 58-70
Die Staatssicherheit begann sich nach dem Neonazi-Überfall auf die Zionskirche 1987 intensiver mit der rechtsextremen Bewegung in der DDR zu beschäftigen. Die Hauptabteilung XX analysierte die bisherige Arbeit der Geheimpolizei auf dem Gebiet der Skinheads und schlug weitere Maßnahmen für deren Bekämpfung vor.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Die Hauptabteilung XX der Stasi verzeichnete für das Jahr 1987 ca. 800 Skinheads in der DDR davon mehr als die Hälfte in Berlin und Potsdam. Für das Anwachsen rechtsextremer Tendenzen unter DDR-Jugendlichen sei auch die Entwicklung der Neonazi-Szene in der Bundesrepublik mitverantwortlich. Persönliche Kontakte zwischen westdeutschen und ostdeutschen Skinheads gäbe es z. B. bei Fußballspielen.Probleme bei der Bekämpfung von Skinheads sah die HA XX unter anderem darin, dass die DDR-Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend kaum Einfluss auf die rechtsextremen Jugendlichen ausübe. Auch sei das Bewusstsein für Neonazis in Betrieben und Schulen sowie in Gaststätten und Jugendklubs noch nicht ausreichend entwickelt. Eine der vorgeschlagenen Maßnahmen zur "Zurückdrängung und Unterbindung" der Skinheads war daher auch die "Nutzung der gegenwärtigen Gerichtsverfahren vor erweiterter Öffentlichkeit".
II. Einschätzung der Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit zur Verhinderung und Unterbindung von Skinheads ausgehender Gefährdungen der Sicherheit und Ordnung
Insgesamt ist einzuschätzen, daß auf der Grundlage der Weisung 68/86 des Stellvertreters des Ministers, Generaloberst Mittig, vom 07.07.1986 in allen Bezirken umfangreiche Maßnahmen zur Zurückdrängung und Unterbindung des negativen Wirksamwerdens von Skinheads durchgesetzt wurden. Die dabei erzielten Ergebnisse sind differenziert zu bewerten.
Erkannte Schwerpunkte der Skinheads bzw. Skinheadgruppierungen werden in OV bzw. OPK bearbeitet.
1986/87 erfolgte die OV-/OPK-Arbeit laut Angaben der Bezirksverwaltungen in folgendem Umfang:
Bezirk; OV; OPK
Berlin; 5; 10
Cottbus; 1; 3
Dresden; 1; -
Erfurt; -; 1
Frankfurt/Oder; 1; 3
Gera; -; -
Halle; -; -
Karl-Marx-Stadt; 1; -
Leipzig; -; 1
Magdeburg; 2; -
Neubrandenburg; 1; 1
Potsdam; -; 8
Rostock; 1; 1
Schwerin; -; -
Suhl; -; -
Insgesamt wurden bzw. werden 13 OV und 29 OPK bearbeitet, davon ca. 1/3 im Verantwortungsbereich der BV Berlin.
Im Verantwortungsbereich von 4 Bezirksverwaltungen existieren weder OV noch OPK zur Bearbeitung derartiger Jugendlicher.
Von diesen und weiteren Bezirksverwaltungen wird eingeschätzt, daß die Kontrolle von Skinheads vorwiegend durch die DVP (Kontrollakten) realisiert wird und daß dadurch eine ausreichende Einflußnahme zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung im Territorium erfolgt (durch die DVP, Abt. KI, wurden nach vorliegenden Angaben 1987 insgesamt 24 Materialien zu Skinheads bearbeitet).
Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund)
Die Hauptabteilung XX bildete den Kernbereich der politischen Repression und Überwachung der Staatssicherheit. In Struktur und Tätigkeit passte sie sich mehrfach an die sich wandelnden Bedingungen der Herrschaftssicherung an. Die Diensteinheit ging 1964 durch Umbenennung aus der Hauptatbeilung V hervor, die ihrerseits in den Abteilungen V und VI (1950–1953) ihre Vorläufer hatte.
Die Hauptabteilung XX und die ihr nachgeordneten Abteilungen XX in den Bezirksverwaltungen (Linie XX) sowie entsprechende Arbeitsbereiche in den KD überwachten wichtige Teile des Staatsapparates (u. a. Justiz, Gesundheitswesen und bis 1986 das Post- und Fernmeldewesen), die Blockparteien und Massenorganisationen, den Kultur- und Sportbereich, die Medien und die Kirchen sowie SED-Sonderobjekte und Parteibetriebe. Federführend war die Hauptabteilung XX auch bei der Bekämpfung der "politischen Untergrundtätigkeit" (PUT), also der Opposition.
Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre und verstärkt seit dem Beginn der Entspannungspolitik fühlte sich das SED-Regime zunehmend durch die "politisch-ideologische Diversion" (PiD) bedroht. Die Schwächung der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" durch "ideologische Aufweichung und Zersetzung" galt als Hauptinstrument des Westens bei der Unterminierung der DDR. Auch bei der Bekämpfung der PiD hatte die Hauptabteilung XX innerhalb des MfS die Federführung.
Das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung (Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen) in der DDR führte in den 80er Jahren zu einem weiteren Bedeutungszuwachs der Linie XX. In der DA 2/85 bestätigte Minister Mielke dementsprechend die Federführung der Hauptabteilung XX bei der Bekämpfung der PUT.
Im Verlauf der fast 40-jährigen Entwicklung der Hauptabteilung XX veränderte sich ihre Struktur mehrfach. In der Endphase verfügte sie über neun operative Abteilungen und vier Funktionalorgane der Leitung (Sekretariat, Arbeitsgruppe der Leitung, Koordinierungsgruppe des Leiters, Auswertungs- und Kontrollgruppe).
Die Hauptabteilung V lag ab 1953 zunächst im unmittelbaren Anleitungsbereich von Mielke in seiner Eigenschaft als 1. Stellvertreter des Staatssicherheitschefs. Ab 1955 war der stellvertretende Minister Bruno Beater und 1964–1974 der stellv. Minister Fritz Schröder auf der Ebene der MfS-Leitung für die Hauptabteilung XX zuständig. Beide waren zuvor selbst (Beater 1953–1955, Schröder 1955–1963) Leiter der Hauptabteilung V. Seit 1975 gehörte die Hauptabteilung XX zum Verantwortungsbereich von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig. Von 1964 bis zur Auflösung des MfS leitete Kienberg die Hauptabteilung XX. Ihm standen seit 1965 zwei Stellvertreter zur Seite.
1954 waren in der Hauptabteilung V insgesamt 139 Mitarbeiter beschäftigt. Im Herbst 1989 verfügte die Hauptabteilung XX über 461 Mitarbeiter, von denen mehr als 200 als IM-führende Mitarbeiter eingesetzt waren.
In den 15 Bezirksverwaltungen waren auf der Linie XX im Oktober 1989 insgesamt knapp 1.000 Kader und damit auf der gesamten Linie XX fast 1.500 hauptamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Gleichzeitig konnte allein die Hauptabteilung XX mit etwas mehr als 1.500 IM auf einen überdurchschnittlich hohen Bestand an inoffiziellen Kräften zurückgreifen. Ihrem Aufgabenprofil entsprechend spiegelt sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Hauptabteilung XX auch die Geschichte von Opposition, Widerstand und politischer Dissidenz in der DDR. Im Herbst 1989 wurden von der Diensteinheit 31 Operative Vorgänge (10 Prozent aller Operativen Vorgänge im Berliner Ministeriumsbereich) und 59 Operative Personenkontrollen (8,7 Prozent) bearbeitet.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Die OPK wurde 1971 in Abgrenzung zum Operativen Vorgang eingeführt. Auf der Grundlage der MfS-Richtlinien 1/71 und 1/81 zielte sie auf die Überprüfung von Verdachtsmomenten zu Verbrechen und Straftaten, das Erkennen "feindlich-negativer" Haltungen, aber auch den vorbeugenden Schutz von Personen in sicherheitsrelevanten Positionen. Auch Ausländer konnten unter OPK gestellt werden.
Zur Informationsbeschaffung wurden staatliche Organe, Betriebe und Institute, gesellschaftliche Organisationen, die Deutsche Volkspolizei und andere Stellen sowie, wenn erforderlich, operative Mittel und Methoden einbezogen. Die OPK endete mit einem Abschlussbericht. Die bearbeitete Person galt bis dahin als aktiv erfasst, da OPK zu den registrierpflichtigen Vorgängen zählten.
Der Operative Vorgang (OV) war ein registrierpflichtiger Vorgang und Sammelbegriff für Einzel- bzw. Gruppenvorgänge (Registrierung, TV und ZOV). Er wurde angelegt, um im Rahmen von verdeckten, aber zum Teil auch offenen Ermittlungen gegen missliebige Personen vorgehen zu können (Anweisung 14/52 vom 10.9.1952: Vorgangsordnung; 1976 durch Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" neu geregelt).
Ausgangspunkt des OV waren zumeist Hinweise auf, aus MfS-Sicht, strafrechtlich relevante Tatbestände (in der Regel Verstöße gegen die in der DDR geltenden politischen Normen), die es zu überprüfen galt. Bestandteil der nach einem klaren Abfolgeprinzip zu erstellenden OV waren "Maßnahmepläne" und ggf. in ihnen enthaltene Maßnahmen der Zersetzung, die vor allem dann zur Anwendung gelangten, wenn eine Inhaftierung aus taktischen Erwägungen als nicht opportun galt.
Im OV ermittelte das MfS nicht nur gegen die betreffende Person, es wurden auch Erkundigungen zum familiären Umfeld, zum Freundes- und Kollegenkreis u. ä. eingeholt. Konnten Delikte keinen Personen unmittelbar zugeordnet werden (z. B. Flugblätter, Losungen, anonyme Briefe), wurde ein OV gegen unbekannt eröffnet. Darin wurden die nach den Vorstellungen des MfS potenziell als Urheber in Frage kommenden Personen dahingehend überprüft, ob ihnen die "Tat" nachzuweisen war.
Häufig ging dem OV eine Operative Personenkontrolle (OPK) voraus. OV waren mit Vorschlägen zur Ahndung der nachgewiesenen Straftatverletzungen (z. B. Ermittlungsverfahren; Anwerbung; Zersetzungsmaßnahmen) bzw. bei Nicht-Bestätigung des Ausgangsverdachts durch Einstellen der Bearbeitung abzuschließen.
Informationsbedarf zur Einschätzung über die in der DDR existierenden Skinheads Dokument, 4 Seiten
Information an alle Bezirksverwaltungen des MfS und diverse Hauptabteilungen zu "kriminellen/rowdyhaften Jugendlichen" Dokument, 12 Seiten
Lageeinschätzung zum Stand der Bekämpfung des politisch-motivierten Rowdytums im 1. Halbjahr 1988 Dokument, 6 Seiten
Eröffnungsbericht zum Operativen Vorgang "Ring" Dokument, 2 Seiten