Signatur: BArch, MfS, BV Berlin, AKG, Nr. 4004, Bl. 223-226
Der Skinhead-Überfall auf die Zionskirche im Herbst 1987 war Auslöser für die Gründung einiger selbstorganisierter Antifa-Gruppen in der DDR. Unmittelbar nach dem Ereignis fand sich in Berlin eine Gruppe Betroffener zur "Anti-Nazi-Liga" zusammen und verteilte Handzettel, um auf die erstarkende Neonazi-Bewegung aufmerksam zu machen.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Volkspolizei und Stasi standen bezüglich der Ermittlungen zum Neonazi-Überfall auf die Ost-Berliner Zionskirche in regem Austausch. So übermittelte der Präsident der Volkspolizei Berlin, Friedhelm Rausch, am 4. November 1987 eine Information über einen Fund von Handzetteln persönlich an den Leiter der Bezirksverwaltung Berlin, Siegfried Hähnel. Nach dem Skinhead-Überfall hatten einige der Betroffenen eine "Anti-Nazi-Liga" gebildet. Im Prenzlauer Berg hatten sie Handzettel verteilt, in denen sie die Untätigkeit der Volkspolizei anprangerten und zum Widerstand gegen die Neonazis aufriefen. Solche Aktionen, die öffentlich den Umgang mit Rechtsextremismus in der DDR kritisierten, zogen wiederum die Aufmerksamkeit der Stasi auf sich. Die Geheimpolizei überwachte misstrauisch auch die in anderen Städten nach dem Skinhead-Überfall entstehenden Antifa-Gruppen.
Anlage
Abschrift
Konzert in einer Berliner Zionskirche vom 17.10.1987
Am o.g. Samstag spielten dort vor ca. 1.000 Leuten die beiden Gruppen Firma und Elektronets oF CRIDE. Das Konzert war gegen 22:15 Uhr zu Ende. Als sich noch ungefähr 300 - 400 Leute in der Kirche befanden, drangen brüllend und schlagend ca. 30 Skins (die aus der rechten Ecke)in die Kirche ein. Sie hatten sich vor der Kirche gesammelt.
Man hörte Losungen wie "Kommunistenschweine", "Die Sorte müßte man vernichten", "Siegheil", "Judenschweine", "Diese Schweine raus aus deutschen Kirchen!".
Also ganz eindeutig faschistische Sprüche. Dabei flogen leere Flaschen zwischen Skins und Konzertteilnehmern. Es kam zu brutalen Szenen. Nach einigen Minuten sammelten sich Konzertteilnehmer und drängten die Skinhaeds vor die Kirche. Die Nazis verbrügelten vor und nach dem Konzert noch einige Konzertteilnehmer und Passanten, z.B. an der Ecke Schönhauser/Ecke Dimitroffstr.
Kranken- und Einsatzwagen der Polizei standen während des Konzerts in Nebenstraßen des Zionskirchplatzes und kamen auch nicht auf Drängen einzelner Konzertteilnehmer zu Hilfe.
Zitat eines Polizisten: "Wollen Sie in so einem Haufen etwa reingehen?" ähnliche Vorfälle sind in den letzten Jahren in zunehmendem Maße zu beobachten. Auch in Dresden.
Ein deutlicher Rechtsruck der Skinhaed-Bewegung, die sich gezielt organisiert und teilweise bewaffnet (Schlagringe, Ketten etc.), die Verbreitung faschistischen Gedankengutes auch unter anderen Jugendlichen (etwa bei einigen Fußballfans) stehen in krassem Gegensatz zu einer sich herausbildenden Bürger- und Menschenrechtsbewegung in der DDR.
Ob schon die Neonazis in erster Linie Mitglieder linker Gruppierungen, Punks und einzelne Bürger terrorisieren, verkörpern sie ein Problem, daß alle angeht.
Der Nazismus hat sich als eine der widerlichsten Spielsarten des Rechtsextremismus erwiesen. Darum leistet den Faschisten in unserem Land Widerstand. Verschließt nicht eure Augen vor den Nazis. Fordert vom Staat ein Vorgehen gegen Euch bekannte faschistische Tendenzen!.
Bringt EK-Träger Nazilieder Singende rückhaltlos zur Anzeigen!
Vernichtet Nazilosiungen an Häuserwänden! Und denkt daran, die Nazis sind viele, aber wenn jetzt Alle etwas dagegen unternehmen, sind wir mehr!
AntiNaziLiga
(im Original Ormig-Abzug)
Operative Beobachtung
Die Beobachtung zählte zu den konspirativen Ermittlungsmethoden, die in der Regel von operativen Diensteinheiten in Auftrag gegeben und von hauptamtlichen Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt wurden. Dabei wurden sog. Zielpersonen (Beobachtungsobjekte genannt) über einen festgelegten Zeitraum beobachtet, um Hinweise über Aufenthaltsorte, Verbindungen, Arbeitsstellen, Lebensgewohnheiten und ggf. strafbare Handlungen herauszufinden. Informationen aus Beobachtungen flossen in Operative Personenkontrollen, Operative Vorgänge oder Sicherheitsüberprüfungen ein. Im westlichen Ausland wurden Beobachtungen meist von IM unter falscher Identität ausgeführt.
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Information der BV Berlin zum Neonazi-Überfall auf ein Punkkonzert in der Zionskirche Dokument, 5 Seiten
Einschätzung der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin Abteilung IX zum OV "Konzert" Dokument, 3 Seiten
Information über bisherige Untersuchungen des Neonazi-Überfalls auf die Zionskirche Dokument, 4 Seiten
Information über eine Feier von Skinheads in der Gaststätte "Sputnik" Dokument, 1 Seite