Signatur: BArch, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3040, Bl. 12
Vor dem Überfall auf das Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche hatten sich am 17. Oktober 1987 mehrere Skinheads in der Gaststätte "Sputnik" an der Greifswalder Straße getroffen.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Ein inoffizieller Mitarbeiter der Kriminalpolizei mit dem Decknamen "Goldi" berichtete über eine Einladung zu einer Skinhead-Feier am 17. Oktober 1987 in der Gaststätte "Sputnik". Von diesem Treffen aus zogen später am Abend mehrere Neonazis zur Zionskirche weiter. Volkspolizei und Stasi waren demnach bereits Tage zuvor darüber informiert, "daß zu dieser Fete ca. 30 bis 40 Skinhead[s] erscheinen werden".
PdVP Berlin Dez. I
AG / Staatsgrenze
Berlin, den 13.10.1987
Information
Am 12.10.1987 erhielt der IKMR "Goldi", Reg. Nr. 3152 / 85 eine Einladung von den Skinhead
[anonymisiert]
geb. am [anonymisiert] in [anonymisiert]
whft. [anonymisiert]
zu einer Fete, die er organisiert hat.
Über den Grund der Fete, machte der [anonymisiert] keine Angaben.
Die Fete wird am 17.10.1987 in der Zeit von 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr in der Gaststätte
Sputnik
1055 Berlin, Greifswalder Straße 204
Telefon: 43 65 284
durchgeführt.
Hierbei soll es sich um eine "geschlossene Gesellschaft" handeln.
Aus dem weiteren Gespräch konnte der IKMR entnehmen, daß zu dieser Fete ca. 30 bis 40 Skinhead erscheinen werden.
Hierbei nannte der [anonymisiert] auch den Namen
[anonymisiert]
geb. am [anonymisiert] in [anonymisiert]
whft. [anonymisiert]
der mit seiner "Truppe" ebenfalls zu dieser Fete erscheinen wird.
Information ist nicht überprüft.
Der IKMR wird zu dieser Fete gehen.
[handschriftliche Ergänzung:
- 16.10.87 K I [nicht lesbar] informiert
- " K I u 02W [nicht lesbar]
- " Dez.-Ltr. verständigt]
[Unterschrift: Wienicke]
Wienicke
Hauptmann der K
[handschriftliche Ergänzung: Gez. 13.10.87]
Neben der Staatssicherheit warb auch die Volkspolizei Bürger als Spitzel an, besonders ab Herbst 1953. Die dazu ermächtigten Kriminalpolizisten wurden 1959 als sogenannte Operativgruppen disloziert: eine Operativabteilung in der HA Kriminalpolizei der HV der DVP, Operativgruppen in den Abteilungen K der Bezirksdirektionen der DVP und Arbeitsgruppen in den Abteilungen K der VP-Kreisämter. Diese sollten solche Verbrechen untersuchen, die nur durch spezifische Mittel und Methoden (wie den Einsatz von Spitzeln) zu klären waren. Die entsprechenden Fälle wie auch die Zuträger konnte die Staatssicherheit jederzeit in eigener Regie übernehmen.
Insgesamt arbeiteten im Jahre 1961 auf allen Ebenen 2051 Kriminalpolizisten mit Zuträgern. An der Spitze der Operativgruppen standen ausnahmslos OibE, IM oder Leitungskader, die nach Anordnung 6/61 zur "besonderen politischmoralischen Bindung an das MfS" verpflichtet waren. Zudem wurden ab 1959 Operativdienststellen gebildet, die Ermittlungen und Beschattungen durchführten und aus denen die Arbeitsrichtung I/U der Kriminalpolizei hervorging. Im Januar 1965 erhielten die Operativgruppen die bis zuletzt gültige Bezeichnung als Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei (K I). Zudem wurde nun eine Arbeitsrichtung II (Untersuchung/K II) gebildet, die vom Untersuchungsorgan der Staatssicherheit (HA IX) instruiert wurde und in den Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums des Innern eigene Spitzel anwarb, sog. Zelleninformatoren. Im Jahre 1966 wurde zudem die Abt. 4 der Verwaltung Strafvollzug aufgestellt; sie führte Zuträger unter kriminellen Strafgefangenen und wurde 1974 als Arbeitsrichtung 4 der K I unterstellt. Ihre zuletzt 120 hauptamtlichen Mitarbeiter wurden in den Gefängnissen als Offiziere für Kontrolle und Sicherheit bezeichnet und führten zusammen 697 Strafgefangene als Spitzel.
Durch "konzentrierten Einsatz der inoffiziellen Mitarbeiter sowie der speziellen Mittel und Methoden" verfolgte die K I zumeist kleinere politische Delikte und politisch bedeutsame Verbrechen allgemeiner Art (wie organisierte Kriminalität). Zu ihren Aufgaben zählten ferner die Kriminalprävention (durch Aushorchen des kriminellen Milieus) und die Überwachung entlassener Straftäter. Aufgrund der Vorrangstellung der Staatssicherheit (insbesondere der HA VII) durfte die K I allerdings keine ausgewiesenen Feindorganisationen oder die Kirchen bearbeiten, nicht in den Westen wirken und keine Ausländer anwerben. Dementsprechend oblag auch die Archivierung ihrer Akten der Staatssicherheit.
Aufgrund ihrer hohen Bedeutung für den Mielke-Apparat wurde die K I ihrerseits besonders intensiv durchleuchtet: Im Jahr 1989 wurden 5 ihrer Mitarbeiter in OV und 67 weitere in OPK bearbeitet. Die K I verfügte zu diesem Zeitpunkt über 2015 Mitarbeiter (einschließlich der Arbeitsrichtung I/4), die zu drei Vierteln in VPKA disloziert waren und in deren Mitte 47 OibE sowie 412 IM arbeiteten (zusammen 22,7 Prozent). Die Arbeitsrichtung I/U verfügte zur gleichen Zeit über weitere 377 Mitarbeiter, darunter 43 OibE. Die Angehörigen der K I führten ihrerseits zuletzt mehr als 15 000 Spitzel unter DDR-Bürgern, sogenannte Inoffizielle Kriminalpolizeiliche Mitarbeiter (IKM) und bearbeiteten etwa 2750 Kontrollmaterialien (KM), die zu 46 Prozent Ausreisewillige und zu 3,4 Prozent Bürger mit "feindlich-negativer Einstellung" betrafen. Die K I war somit an der politischen Repression im SED-Staat maßgeblich beteiligt und wurde weitgehend von der Staatssicherheit dirigiert.
Information der BV Berlin zum Neonazi-Überfall auf ein Punkkonzert in der Zionskirche Dokument, 5 Seiten
Information über bisherige Untersuchungen des Neonazi-Überfalls auf die Zionskirche Dokument, 4 Seiten
Bericht zu einem "Vorbeugungsgespräch" mit einem jugendlichen Skinhead Dokument, 3 Seiten
Information über den Fund von Handzetteln der "Anti-Nazi-Liga" Dokument, 4 Seiten