Signatur: BArch, MfS, BdL/Dok., Nr. 8323, Bl. 1-18
Die Stasi überwachte bereits Mitte der 1980er Jahre verschiedene jugendliche Subkulturen wie Punks, Skinheads und Heavy-Metal-Fans. Bei den beiden letzteren stellte sie zunehmend faschistische Ausprägungen fest.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
In der vorliegenden Information aus dem Jahr 1986 führt die Staatssicherheit die Gruppe der "Skinheads" als eine Erscheinungsform "negativ-dekadenter Jugendlicher" neben den "Punkern" und "Heavy-Metal-Fans" auf. Neonazistische Tendenzen unter "Skinheads" und "Heavy-Metal-Fans" waren der Stasi bereits bekannt: "Diese Personenkreise zeichnen sich neben der Bereitschaft zur Gewaltanwendung durch solche Eigenheiten wie Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit bis hin zur Propagierung antikommunistischen und antisowjetischen Gedankenguts aus." Der Bericht zeigt, dass sich die DDR-Geheimpolizei neben den Punks auch mit den Skinheads bzw. "Heavys" zu dieser Zeit bereits ausführlicher auseinandergesetzt hatte. Sie stellte fest, dass sich "bereits eine gewisse Organisationsstruktur erkennen" lasse und sich bestimmte Jugendklubs und Gaststätten als feste Treffpunkte für die Skinhead-Szene etablierten.
Mit dem Erscheinungsbild dieser Jugendlichen sind Handlungsweisen verbunden, die sich u.a. wie folgt äußern:
- Absingen faschistischer Lieder in der Öffentlichkeit;
- faschistische Grußerweisung in der Öffentlichkeit;
- Bedrohung und Beschimpfung progressiv auftretender Jugendlicher;
- Tragen faschistischer Symbole, Orden, Uniformteile;
- Auftreten in nach westlichem Vorbild organisierten "Wehrsportgruppen".
Territoriale Schwerpunkte im Auftreten von Jugendlichen mit faschistischen Verhaltensweisen/Handlungen sind die Bezirke Magdeburg, Leipzig, Erfurt, FranMurt/Oder sowie die Hauptstadt Berlin. Als ein weiterer Ausdruck der hier dargestellten Erscheinung müssen auch die im August 1985 bei der Rennsportveranstaltung in Brno/CSSR festgestellten feindlichen Handlungen von Jugendlichen aus der DDR eingestuft werden.
Die dabei mit faschistischer Grußerweisung, Absingen des "Deutschlandliedes" und Liedern der faschistischen Wehrmacht sowie Widerstandshandlungen in Erscheinung getretenen Personen waren "uniformähnlich" bekleidet und trugen zum Teil "adlerähnliche" Rückenaufnäher auf ihren Lederjacken. Bei den festgestellten Personen handelte es sich um 16 Personen aus dem Bezirk Frankfurt/Oder und 12 Jugendlichen aus dem Bezirk Rostock.
Des weiteren ist festzustellen, daß sich in Einzelfällen Punker mit Personen des politischen Untergrundes, vor allem mit Personen des literarisch-künstlerischen Bereiches verbinden und gemeinsam Veranstaltungen durchführen. Im Rahmen der Bearbeitung der Mitglieder der "Punk-Band" "Schleimkeim" (Erfurt), gegen die bereits 1983 ein Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde und die jetzt wieder aktiv sind, wurde bekannt, daß der operativ bekannte Anderson die Gruppe dazu inspirierte, ihre Musik in einem privaten Tonstudio aufzeichnen zu lassen und diese Aufzeichnungen als Grundlage für eine in Westberlin erscheinende Platte mit "DDR-Punk-Gruppen" bereitzustellen.
Zur Absicherung der Gruppe "Schleimkeim" sollten deren Produktionen unter dem Pseudonym "Saukerle" erfolgen.
Inoffiziell und offiziell wurde bekannt, daß zwischenzeitlich die Produktion dieser Platte durch die private Plattenfirma "Aggressive Rockmusik" erfolgte. Am 15.6.1985 wurde im Rahmen der RIAS-Treffpunkt-Sendung nach einem Wortbeitrag "Punks in der DDR" auf eine Platte mit DDR-Punk-Gruppen ... hingewiesen. Daraus wurden zwei Titel der Gruppe "Saukerle" alias "Schleimkeim" "Norm, Norm, Norm ..." sowie "Untergrund und Anarchie ..." abgespielt. Auf der B-Seite der Platte befinden sich Aufnahmen der DDR-Punk-Band "Zwitschermaschine" (Pseudonym). Von der Moderatorin wurde ein zur Platte gehörendes "Beiblatt" verlesen (siehe Anlage 3), das von den Beteiligten selbst entworfen worden sein soll und eine klare Formulierung der Ziele und Absichten der Punk-Musik-Produzenten der DDR darstellt (Mitschnitt des Beitrages liegt bei der HA XX/2 vor).
Erstes Stadium des Strafverfahrens, steht formal unter Leitung des Staatsanwaltes (§ 87 StPO/1968). Die eigentlichen Ermittlungen werden von den staatlichen Untersuchungsorganen (Polizei, MfS, Zoll) durchgeführt (§ 88 StPO/1968) und vom Staatsanwalt beaufsichtigt (§ 89 StPO/1968).
Tatsächlich waren für die Ermittlungen des MfS lediglich die zuvor vom MfS ausgewählten Staatsanwälte der Abteilungen IA zuständig, die gemäß MfS-internen Regelungen keine Einsicht in Unterlagen oder Ermittlungen, die nicht der StPO entsprachen, bekommen durften. Faktisch gab es daher eine doppelte Aktenführung in der zuständigen Linie IX: den internen Untersuchungsvorgang und die für Staatsanwaltschaft und Gericht bestimmte Gerichtsakte und somit keine wirksame staatsanwaltschaftliche Aufsicht über die MfS-Ermittlungen. Einleitung wie auch Einstellung des Ermittlungsverfahrens konnten selbständig von den Untersuchungsorganen verfügt werden (§§ 98, 141 StPO/1968).
Mit dem Ermittlungsverfahren verbunden waren Eingriffe in die persönliche Freiheit Beschuldigter durch die Untersuchungsorgane wie die Beschuldigten- und Zeugenvernehmung, die Durchsuchung, die Beschlagnahme, die Festnahme oder die Untersuchungshaft. In der Tätigkeit des MfS stellte das Ermittlungsverfahren einen besonders wirksamen Teil des repressiven Vorgehens gegen politische Gegner dar.
Signatur: BArch, MfS, BdL/Dok., Nr. 8323, Bl. 1-18
Die Stasi überwachte bereits Mitte der 1980er Jahre verschiedene jugendliche Subkulturen wie Punks, Skinheads und Heavy-Metal-Fans. Bei den beiden letzteren stellte sie zunehmend faschistische Ausprägungen fest.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
In der vorliegenden Information aus dem Jahr 1986 führt die Staatssicherheit die Gruppe der "Skinheads" als eine Erscheinungsform "negativ-dekadenter Jugendlicher" neben den "Punkern" und "Heavy-Metal-Fans" auf. Neonazistische Tendenzen unter "Skinheads" und "Heavy-Metal-Fans" waren der Stasi bereits bekannt: "Diese Personenkreise zeichnen sich neben der Bereitschaft zur Gewaltanwendung durch solche Eigenheiten wie Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit bis hin zur Propagierung antikommunistischen und antisowjetischen Gedankenguts aus." Der Bericht zeigt, dass sich die DDR-Geheimpolizei neben den Punks auch mit den Skinheads bzw. "Heavys" zu dieser Zeit bereits ausführlicher auseinandergesetzt hatte. Sie stellte fest, dass sich "bereits eine gewisse Organisationsstruktur erkennen" lasse und sich bestimmte Jugendklubs und Gaststätten als feste Treffpunkte für die Skinhead-Szene etablierten.
Am 07.11.1985 erfolgte im RIAS-Treffpunkt erneut ein Beitrag über "Musik aus dem Untergrund der DDR" von einem Sambler (Kassette mit 120 min. Laufzeit) mit dem Titel "Live im Paradiese DDR". Die Aufnahmen für diese Kassettenproduktion seien in "Philips-Tonstudio sieben Meter unter der Hauptstadt der DDR" erfolgt. Nähere Angaben zu dieser Produktion sind bisher nicht bekannt. Im Rahmen eines OV der BV Potsdam konnte 1985 herausgearbeitet werden, daß weitere illegale DDR-Punk-Gruppen an Platten- und Kassettenproduktionen, die in Westberlin und der BRD verlegt wurden, beteiligt sein sollen. So soll die Gruppe "Wutanfall" aus Leipzig - jetzt mit veränderter Besetzung unter dem Namen "L'Attentat" bekannt - unter dem Pseudonym "Rotz-Kotz" in Westberlin eine Platte mit dem Titel "Monotonie im Alltag - DDR" produziert haben. Weiterhin wurde bekannt, daß sich hinter dem Pseudonym "Zwitschermaschine" die bisher noch nicht identifizierte Punk-Band "Musikbrigade" aus Dresden verbergen soll.
Die Durchführung gemeinsamer Veranstaltungen zeigte sich auch bei dar im Kulturhaus Coswig/Bezirk Dresden durchgeführten "Intermedia"-Veranstaltung, die durch den Kulturhausleiter und den operativ bekannten Tannert, Christoph gemeinsam mit dem operativ bekannten Anderson organisiert wurde. An dieser Veranstaltung (die Teilnehmer wurden gezielt eingeladen) nahmen u.a. folgende "Punk-Rock-Gruppen" teil:
"Paranoia"; Dresden
"Angst durch Ratlosigkeit" (abgespaltener Teil der ehemaligen Gruppe "Wutanfall"); Leipzig
"Otze"; Weimar
"Rosa Extra"; Berlin
"Klick und raus"; Berlin.
Der Operative Vorgang (OV) war ein registrierpflichtiger Vorgang und Sammelbegriff für Einzel- bzw. Gruppenvorgänge (Registrierung, TV und ZOV). Er wurde angelegt, um im Rahmen von verdeckten, aber zum Teil auch offenen Ermittlungen gegen missliebige Personen vorgehen zu können (Anweisung 14/52 vom 10.9.1952: Vorgangsordnung; 1976 durch Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" neu geregelt).
Ausgangspunkt des OV waren zumeist Hinweise auf, aus MfS-Sicht, strafrechtlich relevante Tatbestände (in der Regel Verstöße gegen die in der DDR geltenden politischen Normen), die es zu überprüfen galt. Bestandteil der nach einem klaren Abfolgeprinzip zu erstellenden OV waren "Maßnahmepläne" und ggf. in ihnen enthaltene Maßnahmen der Zersetzung, die vor allem dann zur Anwendung gelangten, wenn eine Inhaftierung aus taktischen Erwägungen als nicht opportun galt.
Im OV ermittelte das MfS nicht nur gegen die betreffende Person, es wurden auch Erkundigungen zum familiären Umfeld, zum Freundes- und Kollegenkreis u. ä. eingeholt. Konnten Delikte keinen Personen unmittelbar zugeordnet werden (z. B. Flugblätter, Losungen, anonyme Briefe), wurde ein OV gegen unbekannt eröffnet. Darin wurden die nach den Vorstellungen des MfS potenziell als Urheber in Frage kommenden Personen dahingehend überprüft, ob ihnen die "Tat" nachzuweisen war.
Häufig ging dem OV eine Operative Personenkontrolle (OPK) voraus. OV waren mit Vorschlägen zur Ahndung der nachgewiesenen Straftatverletzungen (z. B. Ermittlungsverfahren; Anwerbung; Zersetzungsmaßnahmen) bzw. bei Nicht-Bestätigung des Ausgangsverdachts durch Einstellen der Bearbeitung abzuschließen.
Erscheinungsformen "negativ-dekadenter" Jugendlicher Dokument, 1 Seite
Proberaum der Punkband Schleimkeim in Stotternheim bei Erfurt 5 Fotografien
Information an alle Bezirksverwaltungen des MfS und diverse Hauptabteilungen zu "kriminellen/rowdyhaften Jugendlichen" Dokument, 12 Seiten
Eröffnungsbericht zum Operativen Vorgang "Ring" Dokument, 2 Seiten