Signatur: BArch, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 11386, Bl. 398-403
Der Neonazi-Überfall auf die Zionskirche im Herbst 1987 machte die Skinhead-Szene in der DDR einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Die Stasi verstärkte nun ihre Maßnahmen gegen die rechtsextreme Subkultur und überprüfte in regelmäßigen Abständen deren Wirkung.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Die vorliegende Bilanz der BV Berlin zur Bekämpfung der Neonazi-Szene vom 12. August 1988 klingt zunächst ernüchternd: "Die Anzahl der Skinheads hat in Berlin trotz verstärkter gesellschaftlicher Einflußnahme nicht abgenommen." Aus der Szene ausscheidende Skinheads würden durch immer neue Jugendliche ersetzt. Allerdings seien Straftaten durch Neonazis erheblich zurückgegangen. Als Gründe dafür führt die Stasi die konsequente Verfolgung und Abschreckung durch hohe Strafen an.
Während der Friednswoche der FDJ, im Verlaufe der internationalen Konferenz für kernwaffenfreie Zonen und im Zusammenhang mit den "Open-Air"-Konzerten auf dem Gelände der Radrennbahn Berlin Weißensee sowie anderen Veranstaltungen mit Massencharakter traten Skinheads nicht operativ in Erscheinung.
Als Faktoren, die derzeitig eine noch effektivere und erfolgreichere Zurückdrängung der negativen Erscheinungen von Skinheads und deren Symphatisanten behindern, sind vor allem zu nennnen:
1. Die Informationen aus der Bevölkerung, die vor allem in den Monaten Dezember 1987 bis März 1988 eine wertvolle Hilfe bei der gesamtgesellschaftlichen Bekämpfung des politisch motivierten Rowdytums darstellen, sind gegen Null zurückgegangen.
2. Die Fragen, warum gegen die "armen, modebewußten" Jugendlichen vorgegangen wird und ihnen der Einlaß zu bestimmten Veranstaltungen verwehrt wird, häufen sich wieder, besonders im Bereich der Jugendklubs und anderer Jugendveranstaltungen.
Aus den vorgenannten Tendenzen ergibt sich das Problem, daß der Zustrom jüngerer Anhänger, die bisher noch nicht strafrechtlich vorbelastet sind und sich deshalb handlungsbereiter zeigen, bei Nachlassen der derzeitigen gesellschaftlichen Einflußnahme zu ähnlichen Erscheinungen wie im Herbst 1987 führen kann.
Reserven bei der gesellschafltichen Einflußnahme auf Skinheads und deren Syphatisanten liegen vor allem in der Arbeit der AG 10/78 und der AG Rechtserziehung in den Stadtbezirken und FDJ Kreisorganisationen.
In den 11 AG 10/87 werden lediglich, insgesamt 100 Jugendliche/Jungerwachsene betreut, die den Skinheads zuzuordnen sind. Im Rahmen der umfangreichen Personifizierungsmaßnahmen in den Monanten Dezember 1987 bis März 1988 wurden rund 700 Personen bekannt, die zumindest in ihrem äußeren Erscheinungsbild der Skinheadszene zuzuordnen sind.
Allein dieser Umstand sollte bereits für Vorbeugungs und Klärungsgespräche g nutzt werden, damit eine Weiterentwicklung von einem Modeanhänger zu einem auch mit den Handlungsnormativen übereinstimmenden "harten Skin" erst gar nicht zustande kommt.
Die an der Arbeit der AG 10/78 beteiligten Kräfte sollten sich einen Gesamtüberblick im Territorium verschaffen und die am besten geeignete gesellschaftliche Einflußnahme organisieren (WPO, WBA, BBS, Betrieb, Schule, Eltern, Sportgemeinschaften)
Die Leiter der AG Rechtserziehung (2. Sekretäre der FDJ-Kreisleitungen) sollten sich über die VPI/KD einen Überblick über die Skinheads im Territorium verschaffen und die zuständigen GO-Sekretäre informieren, damit diese ihre FDJ-Arbeit darauf einstellen können - auch bei Nicht-FDJlern, die in jungen Kollektiven arbeiten.
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Lageeinschätzung zur Skinhead-Szene in Berlin Dokument, 3 Seiten
Einschätzung der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin Abteilung IX zum OV "Konzert" Dokument, 3 Seiten
Einschätzung über die in der DDR existierenden Skinheads Dokument, 13 Seiten
Eröffnungsbericht zum Operativen Vorgang "Ring" Dokument, 2 Seiten