Politische Einschätzung zur Lage und den Vorbereitungen zur Fußball-Weltmeisterschaft 1974
Signatur: BStU, MfS, HA XX, Nr. 19067, Bl. 21a-26
Vor Beginn der Fußball-WM 1974 in der Bundesrepublik fasste die Stasi die politische Lage und den Stand der Vorbereitungen zusammen.
Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 in der Bundesrepublik Deutschland ging es schon vor dem Anpfiff des ersten Spiels um mehr als sportlichen Wettkampf. Weltpolitisch war die Entspannung zwischen den Blöcken in Turbulenzen geraten: In Chile hatte sich das Militär an die Macht geputscht und den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende gestürzt. Die USA hatten den Putsch zumindest geduldet, die Sowjetunion protestierte scharf. Und auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten war belastet. Im April 1974 war Günter Guillaume enttarnt worden, ein Agent der Staatssicherheit im Umfeld von Bundeskanzler Willy Brandt.
Bei der WM kam es entsprechend zu politisch aufgeladenen Begegnungen. Die Auslosung der Vorrundengruppen hatte ausgerechnet Spiele der Mannschaft der DDR gegen Chile und, besonders pikant, die Bundesrepublik ergeben.
Gleichzeitig überschattete die Angst vor terroristischen Anschlägen die Weltmeisterschaft. Das Attentat palästinensischer Terroristen auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München lag gerade einmal zwei Jahre zurück - und pünktlich zur Weltmeisterschaft erreichten die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden neue Terrorwarnungen. So erhielt die Münchner Polizei eine Morddrohung der IRA gegen zwei protestantische Spieler der schottischen Mannschaft und ein angeblich von der RAF stammender Kettenbrief drohte mit einem Raketenanschlag auf das Hamburger Volksparkstadion.
Der Stasi kam in dieser Lage die Aufgabe zu, die Teilnahme der DDR an der Weltmeisterschaft "abzusichern". Dies beinhaltete eine Analyse der politischen Lage rund um das Turnier und des Standes der Vorbereitungen.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Hauptabteilung XX, Abteilung 3
- Datum:
- Anfang 1974
Die Tatsache, daß die Fußballer der DDR in letzter Zeit mit einer beachtlichen Leistungssteigerung aufwarten konnten, wird besonders in der BRD-Presse mit großer Aufmerksamkeit registriert.
Vor allem war es die Qualifikation der DDR für die WM-Endrunde, die in den westdeutschen Massenmedien ihren Niederschlag fand. Als dann die Gruppenauslosung für die Endrunde die Mannschaften der DDR und der BRD in eine Gruppe brachte, war die Sensation für die Boulevardpresse perfekt.
Da die WM-Endrunde am 13. Juni 1974 in der BRD ihren Anfang nimmt, sahen es die westdeutschen Massenmedien offenbar als angebracht, bereits jetzt mit einer entsprechenden "Vorstellung" des Fußballlandes DDR zu beginnen. In der Zeitschrift "Der Spiegel" vom 14.1.1974 (Politischer Preis) versucht der Autor dem BRD-Fußballanhängern über den Fußball der DDR ein Bild zu malen, das durch Entstellungen und Lügen einen negativen Eindruck hinterläßt. Hier heißt es: "Was die Sportplaner der DDR jahrelang vermieden hatten, bewirkte das Los in den letzten Monaten dreimal: die Fußball-Konfrontation mit dem westdeutschen Klassenfeind auf höchster Ebene". Dann beschäftigt sich der Beitrag mit dem Fußball der Nachkriegszeit in der DDR. Helmut Schön (r-fl) wird zitiert: "Der rot-schwarze DSC-Dreß war das einzige, 'was man uns ließ', erinnerte sich Schön (der jetzige Bundestrainer, Anm. des Autors) in seinem Buch 'Immer am Ball'". Quelle: "Der Spiegel" vom 14.1,74
Helmut Schön ist sichtlich bemüht, gegen die DDR Stimmung zu machen er spart auch nicht mit Verleumdungen und Lügen. "Der Spiegel" ist bestrebt, so früh wie möglich mit der entsprechenden "Aufklärung" über den WM-Endrundenteilnehmer DDR in der BRD zu beginnen, um einen Beitrag zu liefern, damit bei den Spielen in Hamburg und Westberlin die "richtige Stimmung" erzeugt wird.
Bezeichnend ist wohl auch der Kommentar des jetzigen BRD-Innenminister Genscher, der im "Spiegel"-Artikel nicht vergessen wurde.