Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 41/57, Bd. 3, Bl. 124-125
Hermann Flade protestierte gegen die Volkswahlen 1950, deren Ausgang von Anfang an feststand. Die Stasi initiierte einen Schauprozess, in welchem das Gericht das Todesurteil gegen ihn verhängte. Innerhalb und außerhalb der DDR rief das eine Welle der Empörung hervor.
Am 15. Oktober 1950 fanden in der DDR die ersten Volkswahlen statt. Von vornherein stand fest, dass die SED zusammen mit den Abgeordneten der Massenorganisationen die absolute Mehrheit stellen sollte. Gegen diesen offensichtlichen Betrug empörte sich ein 18-jähriger Oberschüler aus dem sächsischen Städtchen Olbernhau. Mit einem Druckkasten stellte Hermann Joseph Flade ungefähr 200 Flugblätter her. Die verstreute er nachts heimlich auf Straßen und Plätzen.
Zunächst ging alles gut, doch am Vorabend der Wahl überraschte ihn eine Streife der Volkspolizei. Hermann Joseph Flade wehrte sich: Er zog ein Taschenmesser, und verletzte einen der Polizisten leicht. Zwei Tage später wurde er festgenommen. Die Stasi brachte ihn ins MfS-Untersuchungsgefängnis Dresden und verhaftete auch seine Eltern und seine Großmutter. Die Geheimpolizei initiierte einen öffentlichen Schauprozess gegen ihn. Am 10. Januar 1951 verhängte das Gericht das drakonische Urteil: Todesstrafe für Hermann Joseph Flade.
Inner- und außerhalb der DDR kam es zu einer großen Protestwelle gegen das Urteil. Die Staatssicherheit sammelte einige der Reaktionen auf das Urteil in ihren Akten - darunter auch den vorliegenden Protestbrief eines Jugendlichen an den zuständigen Staatsanwalt.
Die SED sah sich angesichts der Empörung genötigt, das Todesurteil abzuändern. In zweiter Instanz wurde Flade zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
[anonymisiert]
D.22.01.51
Sehr geehrter Herr Staatsanwalt!
Ich weiß nicht,ob ich mit dieser Anrede an den verantwortlichen Herrn für den Fall Her[durchgestrichen:r]mann Joseph Flade gekommen bin;andernfalls bitte ich,diesen Brief entsprechend weiterzuleiten.
Zunächst möchte ich darauf hinweisen,daß diese Zeilen nicht eine der üblichen organisierten Resolutionen darstellen sollen, sondern daß ich ein einzelner Jugendlicher bin,der sich mit einer Frage an Sie persönlich wenden will.Diese Frage lautet:können Sie, Herr Staatsanwalt,das Todesurteil gegen Flade verantworten? Mir nämlich will es scheinen,daß man dies noch nicht einmal als Jurist, geschweige denn als Mensch tun kann! Nehmen Sie es mir bitte nicht übel,wenn die folgenden Worte sehr hart kommen;da ich Sie sehr um eine Antwort bitten möchte und daher auch Rückporto beifüge,können Sie mir gern entsprechend erwidern oder aber als mir zweifellos überlegener,reiferer Mensch eine Antwort geben,die ich akzeptieren und verstehen kann.Bis dahin jedoch ist meine Meinung die folgende:wenn dieser Junge auf Grund Ihres Urteils getötet wird,dann wird damit die Tradition der „Volksrichter“ (hießen sie nicht auch so?) unter den Nazis fortgesetzt,und was diese Schergen vollbrachten,wird von allen,auch Ihren Auffassungen als Mord bezeichnet.Oder war es kein Mord,was an den Gebrüdern Scholl seinerzeit geschah,weil sie eine andere Meinung vertraten und diese sogar durch Flugblätter verbreiteten? Wenn Flade, dessen Mut allein Ihnen schon zu denken geben sollte,deshalb sein Leben verliert, dann ist das in den Augen der ganzen Welt ein Mord,durch kaum etwas unterschieden von dem Fall der Scholls.Ich möchte Sie bitten, Herr Staatsanwalt, persönlich bitten, sich diese Angelegenheit noch einmal zu überdenken,und sei es nur als Jurist - selbst dann ist ein solches Urteil niemals zu rechtfertigen.Mir selbst geht es dabei wenig um die Politik,sondern um das Menschenleben. Ich hatte an sich sogar geglaubt,die Todesstrafe sei überhaupt abgeschafft;daß sie aber wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt,als Affekthandlung eines Jugendlichen, ausgesprochen wird,ist mir unerklärlich.Denn Plakate-Kleben kann doch in einem demokratischen Staat kein Verbrechen sein.Es wird so viel davon geredet, wenn in den Berliner Westsektoren die jungen Friedenskämpfer,die von der FDJ-Leitung unverantwortlicherweise immer wieder hinübergeschickt werden,verhaftet werden. Nun,sie übertraten ein ganz offiziell im Westen bekanntes Verbot (das bei Ihnen meines Wissens nicht besteht?),werden dafür vor ein öffentliches Gericht gestellt und dann verurteilt. Diese Urteile lauten,sofern überhaupt ein entspre-
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 41/57, Bd. 3, Bl. 124-125
Hermann Flade protestierte gegen die Volkswahlen 1950, deren Ausgang von Anfang an feststand. Die Stasi initiierte einen Schauprozess, in welchem das Gericht das Todesurteil gegen ihn verhängte. Innerhalb und außerhalb der DDR rief das eine Welle der Empörung hervor.
Am 15. Oktober 1950 fanden in der DDR die ersten Volkswahlen statt. Von vornherein stand fest, dass die SED zusammen mit den Abgeordneten der Massenorganisationen die absolute Mehrheit stellen sollte. Gegen diesen offensichtlichen Betrug empörte sich ein 18-jähriger Oberschüler aus dem sächsischen Städtchen Olbernhau. Mit einem Druckkasten stellte Hermann Joseph Flade ungefähr 200 Flugblätter her. Die verstreute er nachts heimlich auf Straßen und Plätzen.
Zunächst ging alles gut, doch am Vorabend der Wahl überraschte ihn eine Streife der Volkspolizei. Hermann Joseph Flade wehrte sich: Er zog ein Taschenmesser, und verletzte einen der Polizisten leicht. Zwei Tage später wurde er festgenommen. Die Stasi brachte ihn ins MfS-Untersuchungsgefängnis Dresden und verhaftete auch seine Eltern und seine Großmutter. Die Geheimpolizei initiierte einen öffentlichen Schauprozess gegen ihn. Am 10. Januar 1951 verhängte das Gericht das drakonische Urteil: Todesstrafe für Hermann Joseph Flade.
Inner- und außerhalb der DDR kam es zu einer großen Protestwelle gegen das Urteil. Die Staatssicherheit sammelte einige der Reaktionen auf das Urteil in ihren Akten - darunter auch den vorliegenden Protestbrief eines Jugendlichen an den zuständigen Staatsanwalt.
Die SED sah sich angesichts der Empörung genötigt, das Todesurteil abzuändern. In zweiter Instanz wurde Flade zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
[anonymisiert]
chend schwerer Fall vorliegt (z.B.Widerstand gegen die Polizei oder - harmloser - öffentliche Ruhestörung),nie über mehr als ein paar Monate oder meist sogar nur Wochen;unzählige aber,über die die Ostpresse nicht berichtet,werden sofort wieder freigelassen.Das ist die vielgeschmähte westliche Rechtsprechung - ich muß sagen,mir ersoheint sie gerechter und auch demokratischer!
Und abschließend nocht etwas:wogegen hat sich denn Flade gewandt? Auf jeden Fall einmal nicht gegen den Frieden und damit das neue Gesetz,das im Wortlaut hier neben mir liegt.Soviel ich hörte,äußerte er sich über die Wahlen.Na,und da wollen wir doch einmal einen Augenblick versuchen,objektiv und ehrlich zu sein: diese 99,9 % kennen wir doch.... Oder sollte es bezüglich des Zustandekommens dieses Ergebnisses gerade in Ihrem Wahllokal zufällig anders gewesen sein?Dann horchen Sie einmal herum:ungezählte Augenzeugen würden Sie belehren,könnten sie nur den Mut haben,offen zu sprechen,so offen,wie es der junge Flade getan und damit sein;Leben riskiert hat.Ich bin,wie gesagt,nur ein einzelner,aber dessen bin ich,gewiß:meine Meinung ist die der deutschen,ja,internationalen Jugend (keine andere Stimme habe ich bisher irgendwo vernehmen können und ich garantiere auch - freie Meinungsäußerung vorausgesetzt - daß es sie nicht gibt).
Die Materialisten glauben nicht mehr an Gott.Aber vielleicht gibt es doch so etwas wie eine höhere Gerechtigkeit,die eigentlich bisher noch immer früher oder später ausgleichend in Erscheinung getreten ist.Wenn Flade ermordet wird,wird sie den oder die Mörder eines Tages zu treffen wissen - daran zweifle ich nicht.Und ich möchte Sie damit nochmals bitten,sich dafür einzusetzen,daß es gar nicht erst so weit kommt.Nach Ansicht zweier mir bekannter Juristen hat F. kaum mehrere Monate Gefängnis verdient.
Wie schon eingangs, erwähnt,wäre ich Ihnen für eine baldige Antwort sehr dankbar und grüße Sie hochachtungsvoll
[Unterschrift: [anonymisiert]]
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Bericht über die Verhandlung gegen Hermann Joseph Flade Dokument, 2 Seiten
Abschrift eines Radiointerviews mit den Eltern Hermann Joseph Flades Dokument, 2 Seiten
Schlusswort Manfred Smolkas beim Strafprozess vor dem Bezirksgericht Erfurt Audio, 42 Minuten, 25 Sekunden
Schlusswort von Karl Laurenz im Geheimprozess gegen ihn und Elli Barczatis wegen Spionage Audio, 10 Minuten, 46 Sekunden