Signatur: BArch, MfS, BV Magdeburg, Abt. XX, Nr. 1563, Bl. 301
Mitte der 1960er Jahre begann die Stasi, sich eingehend mit den nationalsozialistischen Verbrechen um den KZ-Lager-Komplex Mittelbau-Dora auseinanderzusetzen und umfassende Archivauswertungen und Ermittlungen vorzunehmen. Hintergrund war das sich hierzu anbahnende zweite große Strafverfahren auf westdeutschem Boden, der Essener Dora-Prozess. Er begann im November 1967 vor dem Essener Landgericht. Seit Anfang der 1960er Jahre liefen entsprechende Vorermittlungen in der Bundesrepublik, die vielfach Rechtshilfeersuchen an verschiedene Stellen in der DDR einschlossen und so die Stasi auf den Plan riefen.
Am zweiten großen Prozess auf westdeutschem Boden zu Gewalt- und Endphaseverbrechen im KZ Mittelbau-Dora gegen die SS-Leute Helmut Bischoff, Erwin Busta und Ernst Sander nahm die DDR als Nebenklagevertreter teil. Sie entsandte hierzu mit Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul einen Anwalt, den die Nazis selbst aufgrund seiner jüdischen Abstammung verfolgt und inhaftiert hatten. Kaul gehörte zu den wenigen ostdeutschen Anwälten, die auch an Westberliner und westdeutschen Gerichten anwaltlich tätig werden konnten. Er war daher bereits zuvor u. a. als Hauptprozessbevollmächtigter im KPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sowie als Nebenklagevertreter im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-1965) und im ebenfalls 1967 beginnenden zweiten Frankfurter Euthanasie-Prozess (1967-1968) aufgetreten.
Die Wahrnehmung dieser Mandate war durch eine enge Kooperation mit dem MfS sowie eine propagandistische Nutzung der jeweiligen Verfahren geprägt: Die DDR sollte dabei als Vertreter der Opfer und das „bessere“ Deutschland erscheinen, die Bundesrepublik als das Land, in dem NS-Täter wieder in Amt und Würden gelangt waren und für begangene Verbrechen nicht oder nur milde zur Rechenschaft gezogen wurden. Die gleiche Intention wurde auch mit der Teilnahme am Verfahren in Essen verfolgt.
In seiner Rolle vor dem Essener Gericht wurde Kaul durch eine eigens hierfür ins Leben gerufene „AG Dora“ unterstützt. Sie setzte sich aus Vertretern der DDR-Generalstaatsanwaltschaft, des MfS und MdI, einer studentischen Forschungsgruppe der Humboldt-Universität um den Historiker Prof. Dr. Walter Bartel sowie Mitarbeitern Kauls zusammen. Eine direkte Anbindung an das Sekretariat des ZK der SED war ebenso gewährleistet.
Die Einrichtung der Arbeitsgruppe hatte das Sekretariat des ZK der SED am 15. Februar 1967 beschlossen. Stasi-Minister Mielke zeichnete für seinen Verantwortungsbereich die entsprechende ZK-Vorlage gegen, verfügte für das MfS die Zuständigkeit der HA IX und wies an, alle Linien sowie die Bruderorgane anzusprechen. Die Abteilung 11 der HA IX wurde umgehend tätig und wandte sich an die MfS-Diensteinheiten mit der Aufforderung, dringend Ermittlungsergebnisse und Hinweise auf Zeugen zum KZ Mittelbau-Dora zu übersenden. Kurz nachdem Mielke die Verantwortlichkeiten festgelegt hatte, erreichte ein entsprechendes Fernschreiben der Hauptabteilung IX vom 20. Februar 1967 so z. B. auch den seinerzeitigen Leiter der BV Magdeburg, Oberst Heinz Eggebrecht. Dieser wiederum forderte alle ihm unterstellten Kreisdienststellen und operativen Abteilungen der BV Magdeburg zur Lieferung relevanter Angaben und Informationen auf. Die Ergebnisse sollten bis 1. März 1967 in der BV Magdeburg vorliegen und von dort weiter an die Abteilung 11 der HA IX gehen.
Das hier vorliegende Dokument stellt die Antwort der Abteilung VII der BV Magdeburg auf diese Aufforderung des BV-Leiters dar. Fristgerecht zum 1. März 1967 liefert die Abteilung VII ihre relativ allgemein gehaltenen Feststellungen über Archivbestände. Zudem benennt sie zwei Zeugen, die zumindest mittelbar Aussagen zum Umgang der SS-Wachmannschaften mit KZ-Häftlingen im KZ Mittelbau-Dora machen könnten. Wirklich konkret verwertbares im Sinne der Nebenklagevertretung im Essener Dora-Prozess war hier also nicht ermittelt worden.
Magdeburg, 01. März 1967
Li/Ba
Tgb.-Nr.: VII/1/[Auslassung]/67
[Stempel: MfS/Ma 52 [Kürzel: Te]
Eing. am [Handschriftliche Ergänzung: 02.03.1967]
Tgb.Nr. [Handschriftliche Ergänzung: 168/67 E]
Weiter an: [Auslassung]]
Genossen
Major Axt
im Hause
KZ "Dora" in Nordhausen
Entsprechend Ihres Schreibens vom 21.01.1967 konnten innerhalb des Aufgabenbereiches der Abteilung VII folgende Feststellungen getroffen werden:
1. Die über das KZ "Dora" im Staatsarchiv Magdeburg bzw. Dornburg vorhandenen Bestände wurden von den Mitarbeitern der Zentralen Dokumentationsstelle bereits durchgearbeitet und erfaßt, so daß die Materialien zentral eingesehen werden können.
2. Als Zeugen wurden folgende Genossen ermittelt:
a) Genosse Oberleutnant [anonymisiert] - Abteilung VII
Genosse [anonymisiert] hat während des Krieges bei den Junkerswerken in Magdeburg gearbeitet und wurde im Jahre 1944 bis zum Kriegsende in einem Stollen bei Nordhausen als Dreher eingesetzt. Er hatte unmittelbar mit den KZ-Häftlingen und den SS-Wachmannschaften keinen direkten Umgang, hatte aber die Möglichkeit, Beobachtungen über die Behandlung der KZ-Häftlinge anzustellen und kann darüber Zeugenaussagen machen.
b) Mitarbeiter des [anonymisiert] - [anonymisiert], [anonymisiert]
[anonymisiert] wurde ebenfalls durch die Junkerswerke im Jahre 1944 in den schon erwähnten Stollen als Facharbeiter eingesetzt. Er war verantwortlich für den Betrieb einer Taktstraße zur Bearbeitung von Zylinderköpfen. Auch er hatte keinen direkten Umgang mit KZ-Häftlingen oder SS-Wachmannschaften, kann aber über deren Behandlung bzw. Verhalten Aussagen machen.
Leiter Abteilung VII
[Unterschrift]
Müller
Major
Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan)
Die Hauptabteilung IX war die für strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfolgung zuständige Diensteinheit. Sie hatte wie die nachgeordneten Abteilung IX in den Bezirksverwaltung (BV) (Linie IX) die Befugnisse eines Untersuchungsorgans, d. h. einer kriminalpolizeilichen Ermittlungsbehörde. Ursprünglich vor allem für die sog. Staatsverbrechen zuständig, befasste sie sich in der Honecker-Ära überwiegend mit Straftaten gegen die staatliche Ordnung, vor allem mit Fällen "ungesetzlichen Grenzübertritts" und Delikten, die mit Ausreisebegehren zu tun hatten. Nach StPO der DDR standen auch die Ermittlungsverfahren der Linie IX unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft, in der Praxis arbeitete das MfS hier jedoch weitgehend eigenständig.
Die Hauptabteilung IX und die Abteilungen IX der BV waren berechtigt, Ermittlungsverfahren einzuleiten sowie Festnahmen, Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und andere strafprozessuale Handlungen vorzunehmen sowie verpflichtet, diese Verfahren nach einer bestimmten Frist - meist durch die Übergabe an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung - zum Abschluss zu bringen (Untersuchungsvorgang). Daneben führte sie Vorermittlungen zur Feststellung von Ursachen und Verantwortlichen bei Großhavarien (industriellen Störfällen), Flugblättern widerständigen Inhalts, öffentlichen Protesten u. ä. (Vorkommnisuntersuchung, Sachverhaltsprüfung).
Die Hauptabteilung IX gehörte zeit ihres Bestehens zum Anleitungsbereich Mielkes, in den ersten Jahren in seiner Funktion als Staatssekretär und 1. stellv. Minister, ab 1957 als Minister. Ihre Leiter waren Alfred Karl Scholz (1950-1956), Kurt Richter (1956-1964), Walter Heinitz (1964-1973) und Rolf Fister (1973-1989).
1953 bestand die Hauptabteilung IX aus drei Abteilungen, die für Spionagefälle, Fälle politischer "Untergrundtätigkeit" und die Anleitung der Abt. IX der BV zuständig waren. Durch Ausgliederungen entstanden weitere Abteilungen, so u. a. für Wirtschaftsdelikte, Militärstraftaten, Delikte von MfS-Angehörigen und Fluchtfälle. Ende 1988 bestand die Hauptabteilung IX aus zehn Untersuchungsabteilungen sowie der Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) und der AGL (Arbeitsgruppe des Ministers (AGM)) mit insgesamt 489 Mitarbeitern. Auf der Linie IX arbeiteten 1.225 hauptamtliche Mitarbeiter.
Die Linie IX wirkte eng mit den Abteilung XIV (Haft) und der Linie VIII (Beobachtung, Ermittlung), die für die Durchführung der Festnahmen zuständig waren, zusammen. Bei der juristischen Beurteilung von Operativen Vorgängen (OV) wurde die Hauptabteilung IX von den geheimdienstlich arbeitenden Diensteinheiten häufig einbezogen.
Linie VII (Ministerium des Innern, Deutsche Volkspolizei)
Die Hauptabteilung VII und die ihr zugeordnete Linie VII waren für das Ministerium des Innern (MdI) und die ihm nachgeordneten Bereiche zuständig, d.h. für die Kriminalpolizei (insbesondere deren Arbeitsrichtung I/K I), die Schutz-, Verkehrs- und Bereitschaftspolizei, die Kampfgruppen, den Betriebsschutz, den Strafvollzug, das Pass- und Meldewesen, die Feuerwehr, das Deutsche Rote Kreuz, das Zentrale Aufnahmeheim in Röntgental, das Archivwesen, Geodäsie und Kartographie sowie die Politische Verwaltung des MdI, die medizinischen Einrichtungen der Volkspolizei und die Bereiche Innere Angelegenheiten der staatlichen Verwaltungen.
Zum Teil reichte der Verantwortungsbereich der Hauptabteilung bzw. Linie VII über das MdI hinaus, so etwa gegenüber der Zivilverteidigung, die seit 1977 dem MfNV unterstand. Andere nachgeordnete Bereiche des MdI wurden indes aus fachlichen Gründen von anderen Diensteinheiten der Staatssicherheit abgesichert, so etwa die Arbeitsrichtung Observation der Kriminalpolizei (I/U) (durch die Hauptabteilung VIII), das Wachkommando Missionsschutz (durch die HA II) oder die Transport- und Wasserschutzpolizei (durch die HA XIX).
Gegenüber den Kampfgruppen sowie den lokalen Abteilungen Innere Angelegenheiten teilte sich die Linie VII die Zuständigkeit mit anderen Diensteinheiten. Die Abteilung VII der Verwaltung Groß-Berlin war zeitweise auch für die "Bearbeitung" der Polizei von Westberlin zuständig.
Gleichwohl fungierte die Linie VII als Generalbevollmächtigter des Mielke-Imperiums gegenüber der Volkspolizei. Hatte sie in den 50er Jahren vor allem gegen auffällige Volkspolizisten ermittelt sowie vermutete Spionage aufgedeckt, durchleuchtete sie die Polizei in den späteren Jahren immer stärker prophylaktisch, knüpfte ein weites Netz von Zuträgern im dienstlichen wie im privaten Bereich der Volkspolizisten und beeinflusste auch zunehmend die fachlichen Entscheidungen auf Leitungsebene.
Verfügte die Abteilungen VII im MfS 1958 über 38 Mitarbeiter in drei Referaten, so wurde sie im Folgejahr zur HA aufgewertet und wuchs bis 1989 auf 319 hauptamtliche Geheimpolizisten in acht Abteilungen an. Hinzu kamen 510 Mitarbeiter in den Abteilungen VII der BV sowie 264 sogenannte Abwehroffiziere Volkspolizei, seit 1981 der verlängerte Arm der Linie VII in den KD.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Interne Fernschreiben des MfS mit der Aufforderung, Hinweise auf Zeugen zum KZ Mittelbau-Dora zu übersenden Dokument, 3 Seiten
Maßnahmeplan zur Realisierung des Sekretariatsbeschlusses des ZK der SED vom Februar 1967 betreffend DDR-Nebenklage im westdeutschen KZ Dora – Prozess Dokument, 3 Seiten
Aktion „Konzentration“ – Schreiben des Leiters der BV Magdeburg Oberst Heinz Eggebrecht vom 10. März 1965 Dokument, 1 Seite
Vorlage der Westabteilung des Zentralkomitees (ZK) der SED an das Sekretariat des ZK der SED zur Nebenklagevertretung im Essener Dora-Prozess und Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Vorbereitung. Dokument, 2 Seiten