Überwachungsbericht der BV Berlin zum "Concert for Berlin"
Signatur: BArch, MfS, BV Berlin, AKG, Nr. 181, Bl. 6
Die Stasi überwachte die Feierlichkeiten rund um das 750-jährige Stadtjubiläum Berlins 1987. Das in West-Berlin unmittelbar an der Grenze stattfindende "Concert for Berlin" lockte auch ostdeutsche Musikfans an. In einem Bericht zu der Veranstaltung verzeichnete die Geheimpolizei eine "Zunahme der Personenbewegung" im Bereich Unter den Linden.
Im Ost- wie im Westteil der Stadt feierte Berlin 1987 sein 750-jähriges Jubiläum. Beide Stadthälften hatten das Ziel, sich bestmöglich zu präsentieren. Denn von Anfang an war klar, dass mit den Feierlichkeiten nicht nur die Stadt selbst, sondern Ost- und West-Berlin auch als Aushängeschilder des jeweiligen politischen Systems wahrgenommen wurden.
Um sich als weltoffene Stadt zu präsentieren, lud die SED-Führung eine Vielzahl von internationalen Künstlerinnen und Künstlern nach Ost-Berlin ein. Zu den ersten Großereignissen zählten Mitte März 1987 mehrere Konzerte mit Peter Maffay, Shakin‘ Stevens sowie dem New Orleans Soul Festival in der Werner-Seelenbinder-Halle in Prenzlauer Berg. Die "Sicherung" der Konzerte über viele Tage hinweg war für das MfS eine logistische Herausforderung. Sie sollte "feindliche Einflüsse", ohne Aufsehen zu erregen, unterbinden und verfasste massenhaft entsprechende Maßnahmenpläne. De facto bedeutete dies, die allseits propagierte Weltoffenheit des Regimes zu konterkarieren und zwar im Auftrag des Regimes.
Wie fragil die Situation und wie herausfordernd diese Aufgabe waren, zeigte sich Anfang Juni 1987. Der West-Berliner Senat hatte während des Pfingstfests zum "Concert for Berlin" hochkarätige Musiker und Bands wie David Bowie, Genesis und die Eurythmics eingeladen. Ganz bewusst fand das Konzert vor dem Reichstagsgebäude in unmittelbarer Nähe zur Mauer statt mit einer Vielzahl an Lautsprechern, die Richtung Osten zeigten: eine Jubiläumsfeier über die Mauer hinweg. Von Tag zu Tag strömte auf der Ostseite ein immer größeres Publikum zum Brandenburger Tor. Der Radiosender RIAS 2 übertrug die Konzerte zwar landesweit, aber viele wollten die Atmosphäre vor Ort erleben. Stasi und Volkspolizei waren überfordert. Ihnen entglitt die Situation und die Menschenmenge sollte aufgelöst werden. Entgegen der Anweisung, keine "Vorfälle" entstehen zu lassen, wurden zum Teil Journalisten und Jugendliche niedergeknüppelt.
Der öffentliche Höhepunkt des Jubiläums in Ost-Berlin war der historische Festumzug am 4. Juli 1987. Mehr als 43.000 Teilnehmende stellten die Stadtgeschichte nach, ohne dabei jedoch auf die Nachkriegsgeschichte einzugehen. Für die Stasi bedeutete das die größte Sicherungsmaßnahme während des Jubiläums. Nach den Erfahrungen des Pfingstkonzerts in West-Berlin drängte die Geheimpolizei darauf, mehrere "Handlungsvarianten" im Zusammenspiel mit allen beteiligten Diensteinheiten zu planen, um so bei einem ungeplanten Verlauf effizienter und unauffälliger reagieren zu können. Der historische Festumzug rief bei vielen große Begeisterung hervor, vor allem jedoch, weil er das verkörperte, was die DDR nicht war: innovativ, überraschend und bunt. Die Kluft zum Alltag der Mangelwirtschaft, den zerfallenen Straßen und den fehlenden Freiheiten war danach umso deutlicher.
Bei dem vorliegenden Dokument handelt es sich um einen Auszug aus einem Überwachungsbericht der Bezirksverwaltung Berlin vom 8. Juni 1987 über "Vorkommnisse" während des "Concert for Berlin" am 7. Juni 1987.
Metadaten
[handschriftliche Ergänzung: [unleserliches Kürzel].: 34b]
[handschriftliche Ergänzung: Dok.-Nr.: 1667]
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin
Auswertungs- und Kontrollgruppe
Berlin, 8. Juni 1987
rey-bä [Auslassung]/1987
Bestätigt:
Leiter der BV
[Unterschrift: Hähnel]
Hähnel
Generalmajor
Bericht über Vorkommnisse im Bereich der Straße Unter den Linden im Zusammenhang mit dem "Concert for Berlin" im grenznahen Gebiet auf Westberliner Territorium am 07.06.1987
Im Zusammenhang mit den geplanten Rockkonzerten im Bereich des ehemaligen Reichstagsgebäudes am 06., 07. und 08.06.1987 wurde durch die zuständigen Diensteinheiten der BV Berlin in Abstimmung mit der Deutschen Volkspolizei der Einsatz der Kräfte zur Verhinderung feindlich-negativer Handlungen durchgeführt. Aufgrund der Erfahrungen aus zurückliegenden Veranstaltungen ähnlicher Art wurde damit gerechnet, daß insbesondere Jugendliche und Jungerwachsene versuchen würden, in unmittelbare Nähe der Staatsgrenze zu gelangen, um das mit großer Lautstärke aufgeführte Rockkonzert mitzuhören.
Zur Gewährleistung der staatlichen Sicherheit sowie der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere zum Schutz der Staatsgrenze, wurden umfangreiche abgestimmte Sicherungsmaßnahmen eingeleitet und durchgeführt.
Auf Westberliner Seite waren zu dem Konzert am 07.06.1987 60.000 bis 70.000 Zuschauer anwesend. Durch die Westberliner Polizei erfolgte ein verstärkter Einsatz. Durch den Veranstalter wurden 700 Ordnungskräfte bereitgestellt. Außer einer Flugblattverteilung durch Angehörige der Alternativen Liste kam es auf Westberliner Gebiet zu keinen besonderen Vorkommnissen.
Im Bereich der Hauptstadt wurden ab 16.00 Uhr schrittweise die festgelegten Maßnahmen zur Sicherung der angewiesenen Bereiche eingeleitet. Mit Zunahme der Personenbewegung Unter den Linden in Richtung Staatsgrenze wurde in Abstimmung mit den Diensteinheiten der BV gegen 20.20 Uhr durch Kräfte der Volkspolizei ca. 300 m vor der Einmündung zur Otto-Grotewohl-Straße eine Sperrkette gebildet. Eine zweite Sperrkette wurde im Bereich der Otto-Grotewohl-Straße errichtet. Durch einen verstärkten Zustrom aus Richtung Friedrichstraße wuchs die Personenkonzentration gegen 22.15 Uhr kurzzeitig auf 800 - 1.000 Personen an. Durch Funkstreifenwagen der VP wurde eine weitere Sperre errichtet.