Signatur: BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AU, Nr. 76/53, Bd. 2, Bl. 62-64
Ein Postangestellter, der sich mit den Aufständischen des 17. Juni 1953 auf einer Baustelle in Groß Dölln solidarisiert und gegen die Regierung geäußert hatte, wurde wegen "Boykotthetze" angeklagt und durch das Bezirksgericht Neubrandenburg zu drei Jahren Haft verurteilt.
Der Bezirk Neubrandenburg war, wie die anderen Bezirke im Norden auch, kein Zentrum des Volksaufstandes. Ein wichtiger Grund hierfür war die agrarisch geprägte Struktur Mecklenburgs. Zudem gelangten die Nachrichten aus dem Süden der DDR nur langsam bis zur Bevölkerung im Norden. Polizei, MfS und SED waren hier ausnahmsweise besser informiert und konnten sich auf Unruhen vorbereiten.
Trotzdem kam es vereinzelt zu Unruhen. Im Bezirk Neubrandenburg kam es in 29 Städten und Gemeinden zu Aktionen, die von Streiks über Demonstrationen bis hin zu Versuchen reichten, politische Gefangene zu befreien. Einzelne Aktionen wie Forderungen nach Auflösung der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die Abnahme von Bildern führender Mitglieder der Staats- und Parteiführung an öffentliche Stellen oder Solidaritätskundgebungen mit den streikenden Arbeitern und Bauern führten zu Verhaftungen und Verurteilungen.
Am Abend des 17. Juni 1953 legten die Arbeiter auf der Großbaustelle des Flugplatzes in Groß Dölln die Arbeit nieder und stellten politische Forderungen auf. Ein Postangestellter, der sich mit den Aufständischen solidarisiert und gegen die Regierung geäußert hatte, wurde wegen "Boykotthetze" angeklagt und durch das Bezirksgericht Neubrandenburg zu drei Jahren Haft verurteilt.
kratischen Republik vorbereitet und wurden auch durch verhetzte Arbeiter durchgeführt. Der Angeklagte gehört mit zu den Rädelsführern die verletzt durch die westliche Propaganda die Arbeiterschaft gegen die Deutsche Demokratische Republik aufhetzten. Das Ziel war gleichzeitig, die Rote Armee verächtlich zu machen und die Bevölkerung auch gegen diese aufzuputschen.
Der Angeklagte hat Boykotthetze gegen die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik betrieben, indem er die Arbeiterregierung so hinstellt, als wenn sie den Arbeiter selbst unterdrückt, Völkerhass hat er betrieben, indem er die Rote Armee beschuldigt, sie würde im demokratischen Sektor von Berlin Arbeiter niederschiessen. Obgleich allen, wie auch dem Angeklagten bekannt war, dass die Rote Armee eingesetzt wurde, um den Frieden in der Deutschen Demokratischen Republik zu erhalten und um den von den amerikanischen Offizieren aus Westberlin nach dem demokratischen Sektor eingeschleusten Verbrechern die richtige Abfuhr zu erteilen. Gleichzeitig hat der Angeklagte sich eines Vergehens gegen die Kontr. Dir. 38 Abschn. II Art. IIIaIII schuldig gemacht, denn die Handlungen des Angeklagten stellen [unkenntlich] gleichzeitig Propaganda für den Faschismus und Militarismus dar und sind [handschriftliche Ergänzung: ebenfalls] tendenziöse Gerüchte im Sinne der Kontr. Dir. 38
Der Strafsent schloss sich daher dem Antrage der Staatsanwaltschaft an und verurteilte den Angeklagten wegen Verbrechens nach Art. 6 der Verfassung der DDR in Verbindung mit einem Vergehen gegen die Kontr. Dir. 38 Abschn. II Art. IIIaIII zu einer Zuchthausstrafe von 3 Jahren.
Der Strafsenat sieht genau so, wie der Vertreter der Staatsanwaltschaft in dem Angeklagten einen verhetzten Feind gegen die Deutsche Demokratischen Republik und die friedliebende Welt.
Feinde, wie der Angeklagte, müssen daher mit aller Härte der demokratischen Gesetzlichkeit zur Verantwortung gezogen werden, damit sie für die nächste Zukunft nicht mehr in der Lage sind, einen sogenannten Tag X zu planen und durchzuführen, um [handschriftliche Ergänzung: so] einen neuen Krieg zu entfachen, Der Strafsenat ist der Ansicht, lieber einige Verbrecher von dieser Sorte auf einige Jahre aus der Gesellschaft herausnehmen, als dass eines Tages wieder Millionen von Menschen, Frauen, Kinder und Greise einem neuen Weltkrieg zum Opfer fallen.
Die Sühnemassnahmen der Kontr. Dir. 38 [unkenntlich] Art. IX der Ziff. 3 - 9 werden dem Angeklagten auferlegt, da das Gesetz dieses zwingend vorschreibt. Die Beschränkung der Ziff. 7 wird auf 5 Jahre festgesetzt.
Die Untersuchungahft wird dem Angeklagten gem. § 219 StPO Abs. 2 in voller Höhe auf die erkannte Freiheitsstrafe angerechnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 353 StPO.
[Unterschrift: [unleserlich]]
[Unterschrift: [anonymisiert]
[Unterschrift: [anonymisiert]
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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