Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 57/56, Bd. 2, Bl. 151-152
Die Chefsekretärin des DDR-Ministerpräsidenten, Elli Barczatis, stand seit Anfang 1951 unter Spionageverdacht. Als sie im Juni 1953 von einem sechsmonatigen Parteilehrgang zurückkehrte, durfte sie nicht auf ihre alte Stelle zurückkehren. Im vorliegenden Aktenvermerk spricht sich ein Stasi-Offizier für Barczatis’ Versetzung aus, da ihr Geliebter, Karl Laurenz, der "Agententätigkeit" verdächtigt wurde.
Elli Barczatis wurde Anfang der 50er Jahre vermutlich ohne ihr Wissen zur Informantin für die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der westdeutsche Geheimdienst nutzte sie als Quelle in Ost-Berlin, ohne sie offiziell in diese Tätigkeit einzuweihen. Von April 1950 bis Januar 1953 war Barczatis die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Kurz zuvor ging sie eine Liebesbeziehung mit dem Journalisten und Übersetzer Karl Laurenz ein, der nach seinem Bruch mit der SED und den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten 1952 begonnen hatte, für die Organisation Gehlen zu spionieren. Unter dem Vorwand, Material für seine journalistische Arbeit zu sammeln, ließ er sich von Barczatis mit internen Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten versorgen.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde früh auf die beiden aufmerksam. Anfang 1951 lieferte ihm der Bericht einer ehemaligen Kollegin von Barczatis und Laurenz über ein Treffen der beiden Anlass zu intensiveren Ermittlungen. Nachdem sich der Verdacht auf eine Spionagetätigkeit erhärtet hatte, eröffnete die Stasi am 26. Juni 1951 den Gruppenvorgang "Sylvester". Ab diesem Zeitpunkt unternahm sie in enger Zusammenarbeit mit der sowjetischen Geheimpolizei weitere Schritte gegen Barczatis und Laurenz. Dazu gehörten Observierungen, Telefonüberwachungen und Briefkontrollen. Im Januar 1953 wurde Barczatis zu einem Parteilehrgang nach Potsdam delegiert. Danach erhielt sie zwar wieder eine Anstellung im Amt des Ministerpräsidenten, jedoch nicht mehr als persönliche Sekretärin Grotewohls, sondern in der Eingabenbearbeitung.
Wie ein Aktenvermerk vom 2. Juli 1953 zeigt, veranlasste das MfS diese Versetzung. Zu diesem Zeitpunkt wusste es bereits von der Weitergabe interner Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten an die Organisation Gehlen. Auf die Mitteilung, Barczatis wolle einem GI-Bericht zufolge wieder als Chefsekretärin bei Grotewohl arbeiten, reagierte der zuständige Stasi-Mitarbeiter ablehnend. Da Barczatis in Kontakt zum "im Verdacht der Agententätigkeit" stehenden Laurenz stünde und im Gruppenvorgang "Sylvester" bearbeitet werde, solle sie "nicht wieder als Chefsekretärin eingesetzt werden". Der Hinweis, dass der "Gen. Instrukteur" – ein Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes – seine Zustimmung gab, sowie die handschriftliche Zustimmung des stellvertretenden Stasi-Ministers Erich Mielke weisen auf die hohe Bedeutung des Falls für das MfS hin.
Abt.VI
Ref.II
Berlin,den 02.07.1953
Aktenvermerk
[handschriftlich, violetter Buntstift: einverstanden
Mielke; 08.07.53]
Wie durch GI "Maria" mitgeteilt wurde,sitzt die Barczatis mit einer Koll. [anonymisiert] zusammen in einem Zimmer
Wie M durch den Persönlichen Referenten von Ministerpräsidenten Otto Grotewohl Gen Eisermann erfahren hat ,ist die B. mit ihrer Arbeit nicht zufrieden. Ineiner Ausprache mit der Genossin Johanna Grotewohl hat sie sich geäußert das sie gerne wider als Chefsekretärin beschäftigt sein möchte.
Gen. Grotewohl ist mit seiner jetzigen Chefsekretärin [anonymisiert] nicht zufrieden.
Da die jetzige Chefsekretärin in Urlaub geht soll die B. ihre Vertretung übernehmen.
Nach Meinung der M.wird Grotewohl die B. wieder als Chefsekretärin nehmen.
[Unterschrift: Werner]
( Werner (
Aktenvermerk
Die obengenannte Barczatis,Elli war die frühere Chefsekretärin von Gen. Grotewohl.Die Barczatis wird von uns im Vorgang "Sylvester" bearbeitet.
Die Barczatis hat Verbindung zu den Laurenz,Karl. Derselbe hat Verbindungen zu einen Westberliner Rechtsanwalt Greffin.Laurenz steht im Verdacht der Agententätigkeit. Die Verbindung Laurenz-Barczatis ist auch dem persönlichen Referenten von Gen. Grotewohl Gen. Eisermann bekannt wie uns der GI "Maria" mitteilt.
Wir sind der Meinung,dass die Barzcatis nicht wieder als Chefsekretärin eingesetzt werden soll und schlagen deshalb folgendes vor:
1. Die Barczatis in ihrer jetzigen Stellung zu belassen und wenn möglich die Mitarbeiterin von [manuelle unterstrichen, violetter Buntstift: ihr [anonymisiert] ] als GI werben.
[Der Absatz ist mit einem violetten Fragezeichen am linken Rand versehen.]
2. Mit Gen. Eisermann zu sprechen, dass Barczatis
b.w.
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für die gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, in den ersten Jahren auch nur Informatoren genannt. 1968 wurden die GI überwiegend zu IMS. GI dienten vor allem der allgemeinen Informationsbeschaffung. Sie wurden dabei auch zunehmend zur Sicherung von Institutionen, zur Feststellung der Bevölkerungsstimmung, zur Überprüfung verdächtiger Personen, zur Verhinderung von Republikfluchten oder auch bei Ermittlungen und Fahndungen eingesetzt.
Vorgangsart von 1950 bis 1960, erstmals definiert in den Erfassungsrichtlinien vom 20.9.1950; Operativer Vorgang gegen mehrere Personen, denen eine "feindliche Tätigkeit" unterstellt wurde. Die Eröffnung eines Gruppenvorgangs hatte auf der Grundlage von "überprüftem Material", das z. B. durch einen Überprüfungsvorgang gewonnen wurde, zu erfolgen. Er war zentral in der Abteilung XII zu registrieren. Die betroffenen Personen und ihre Verbindungen waren in der zentralen Personenkartei (F 16), involvierte Organisationen in der zentralen Feindobjektkartei (F 17) zu erfassen.
Der Instrukteur unterhielt im Auftrag des Führungsoffiziers die persönliche Verbindung zu dem im "Operationsgebiet" eingesetzten inoffiziellen Mitarbeiter oder Residenten. Er beauftragte und instruierte den IM und nahm dessen Berichte entgegen. In der Regel waren die Instrukteure DDR-Bürger und erhielten in den 80er Jahren den Status von Hauptamtlichen IM. Zuletzt gab es 777 Instrukteure.
Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 57/56, Bd. 2, Bl. 151-152
Die Chefsekretärin des DDR-Ministerpräsidenten, Elli Barczatis, stand seit Anfang 1951 unter Spionageverdacht. Als sie im Juni 1953 von einem sechsmonatigen Parteilehrgang zurückkehrte, durfte sie nicht auf ihre alte Stelle zurückkehren. Im vorliegenden Aktenvermerk spricht sich ein Stasi-Offizier für Barczatis’ Versetzung aus, da ihr Geliebter, Karl Laurenz, der "Agententätigkeit" verdächtigt wurde.
Elli Barczatis wurde Anfang der 50er Jahre vermutlich ohne ihr Wissen zur Informantin für die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der westdeutsche Geheimdienst nutzte sie als Quelle in Ost-Berlin, ohne sie offiziell in diese Tätigkeit einzuweihen. Von April 1950 bis Januar 1953 war Barczatis die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Kurz zuvor ging sie eine Liebesbeziehung mit dem Journalisten und Übersetzer Karl Laurenz ein, der nach seinem Bruch mit der SED und den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten 1952 begonnen hatte, für die Organisation Gehlen zu spionieren. Unter dem Vorwand, Material für seine journalistische Arbeit zu sammeln, ließ er sich von Barczatis mit internen Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten versorgen.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde früh auf die beiden aufmerksam. Anfang 1951 lieferte ihm der Bericht einer ehemaligen Kollegin von Barczatis und Laurenz über ein Treffen der beiden Anlass zu intensiveren Ermittlungen. Nachdem sich der Verdacht auf eine Spionagetätigkeit erhärtet hatte, eröffnete die Stasi am 26. Juni 1951 den Gruppenvorgang "Sylvester". Ab diesem Zeitpunkt unternahm sie in enger Zusammenarbeit mit der sowjetischen Geheimpolizei weitere Schritte gegen Barczatis und Laurenz. Dazu gehörten Observierungen, Telefonüberwachungen und Briefkontrollen. Im Januar 1953 wurde Barczatis zu einem Parteilehrgang nach Potsdam delegiert. Danach erhielt sie zwar wieder eine Anstellung im Amt des Ministerpräsidenten, jedoch nicht mehr als persönliche Sekretärin Grotewohls, sondern in der Eingabenbearbeitung.
Wie ein Aktenvermerk vom 2. Juli 1953 zeigt, veranlasste das MfS diese Versetzung. Zu diesem Zeitpunkt wusste es bereits von der Weitergabe interner Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten an die Organisation Gehlen. Auf die Mitteilung, Barczatis wolle einem GI-Bericht zufolge wieder als Chefsekretärin bei Grotewohl arbeiten, reagierte der zuständige Stasi-Mitarbeiter ablehnend. Da Barczatis in Kontakt zum "im Verdacht der Agententätigkeit" stehenden Laurenz stünde und im Gruppenvorgang "Sylvester" bearbeitet werde, solle sie "nicht wieder als Chefsekretärin eingesetzt werden". Der Hinweis, dass der "Gen. Instrukteur" – ein Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes – seine Zustimmung gab, sowie die handschriftliche Zustimmung des stellvertretenden Stasi-Ministers Erich Mielke weisen auf die hohe Bedeutung des Falls für das MfS hin.
nicht als Chefsekretärin eingesetzt werden soll.
Mit den Gen. Instrukteur wurde die Angelegenheit durchgesprochen und er war derselben Meinung.
[Unterschrift: Böhm]
Böhm
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für die gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, in den ersten Jahren auch nur Informatoren genannt. 1968 wurden die GI überwiegend zu IMS. GI dienten vor allem der allgemeinen Informationsbeschaffung. Sie wurden dabei auch zunehmend zur Sicherung von Institutionen, zur Feststellung der Bevölkerungsstimmung, zur Überprüfung verdächtiger Personen, zur Verhinderung von Republikfluchten oder auch bei Ermittlungen und Fahndungen eingesetzt.
Vorgangsart von 1950 bis 1960, erstmals definiert in den Erfassungsrichtlinien vom 20.9.1950; Operativer Vorgang gegen mehrere Personen, denen eine "feindliche Tätigkeit" unterstellt wurde. Die Eröffnung eines Gruppenvorgangs hatte auf der Grundlage von "überprüftem Material", das z. B. durch einen Überprüfungsvorgang gewonnen wurde, zu erfolgen. Er war zentral in der Abteilung XII zu registrieren. Die betroffenen Personen und ihre Verbindungen waren in der zentralen Personenkartei (F 16), involvierte Organisationen in der zentralen Feindobjektkartei (F 17) zu erfassen.
Der Instrukteur unterhielt im Auftrag des Führungsoffiziers die persönliche Verbindung zu dem im "Operationsgebiet" eingesetzten inoffiziellen Mitarbeiter oder Residenten. Er beauftragte und instruierte den IM und nahm dessen Berichte entgegen. In der Regel waren die Instrukteure DDR-Bürger und erhielten in den 80er Jahren den Status von Hauptamtlichen IM. Zuletzt gab es 777 Instrukteure.
Beschluss über das Anlegen des Gruppenvorgangs "Sylvester" Dokument, 2 Seiten
Antrag auf Telefonüberwachung von Karl Laurenz Dokument, 1 Seite
Bericht über die Weiterbeschäftigung von Elli Barczatis beim Ministerpräsidenten der DDR Dokument, 1 Seite
Amtshilfeantrag des persönlichen Referenten Otto Grotewohls zum Verbleib von Elli Barczatis Dokument, 1 Seite