Anweisung des Ministers für Staatssicherheit Ulrike Meinhof bei einem Einreiseversuch in die DDR zu verhören
Signatur: BStU, MfS, AKK, Nr. 10454/76, Bl. 27
Im August 1970 wollte die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof in Ost-Berlin ausloten, ob die Gruppe den "bewaffneten Kampf" von dort aus koordinieren könnte. Doch sie wurde erst hingehalten und am folgenden Tag nicht mehr über die Grenze gelassen und in Bildfahndung gestellt.
Anfang der 70er Jahre entstanden in der Bundesrepublik linksterroristische Gruppen, wie die Rote Armee Fraktion (RAF) und die Bewegung 2. Juni. Die Staatssicherheit befürchtete zunächst, dass die Gewalt der Linksterroristen auch in die DDR "überschwappen" könnte. Mitglieder beider Gruppen reisten gelegentlich durch die DDR, teilweise mit Handfeuerwaffen und unter falschem Namen und damit unerkannt.
Tatsächlich hofften die Terroristen, in der DDR ein sicheres Hinterland zu finden. Dies wollte etwa Ulrike Meinhof, als Mitglied der RAF bereits steckbrieflich gesucht, im August 1970 ausloten. Mit einem falschen Pass reiste sie in die DDR ein und verlangte im Gebäude des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend (FDJ) mit "verantwortlichen Genossen" ein Kontaktgespräch zu führen. Den Linksterrorismus im Westen zu unterstützen erschien der Staatssicherheit jedoch als politisch zu heikel. Wäre dies ruchbar geworden, hätte das einen schweren Imageschaden und diplomatische Verwerfungen zur Folge gehabt. Dies wollten das MfS und die SED nicht riskieren. Es kam hinzu, dass "individueller Terror" aus traditionell marxistischer Sicht als kritikwürdig galt.
Aus diesem Grund wurde Meinhof bei ihrem ersten Besuch am 17. August 1970 hingehalten. Als sie am darauf folgenden Tag nochmals unter falschem Namen einzureisen versuchte, wurde sie am Grenzübergang Friedrichstraße abgewiesen. Doch schon am 20. August fand ein Umdenken innerhalb der Geheimpolizei statt: Sollte Ulrike Meinhof nochmals in die DDR kommen, sollte sie verhört und somit ihr Wissen über die Linksterroristen in der Bundesrepublik "abgeschöpft" werden – so die Anweisung Erich Mielkes.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Hauptabteilung VI, Leiter
- Datum:
- 20.8.1970
Hauptabteilung VI
Leiter
Berlin, 20. August 1970
Hauptabteilung VI
Linie Paßkontrolle
Genossen Major Krowke
im Hause
Der Genosse Minister hat mich beauftragt, folgende Maßnahmen gegen die Westberliner Bürgerin
Meinhoff, Ulrike
weitere Personalien bekannt
einzuleiten.
1. Der M. ist beim Erscheinen an der Grenzübergangsstelle die Einreise zu gestatten. M. wird möglicherweise an der Grenzübergangsstelle einen französischen oder anderen ausländischen Paß vorweisen.
2. Während der Abfertigung bei der Einreise ist sofort der Leiter der Hauptabteilung IX, Genosse Oberst Heinitz,
Telefon: Dienstanschluß 2355
Wohnung 2358
in Kenntnis zu setzen.
Bei seiner Abwesenheit ist die Mitteilung zu geben an
Gen. Oberstltn. Coburger
Telefon: Dienstanschluß 2356
Wohnung 55 95 282
oder
Gen. Major Liebewirth
Telefon: Dienstanschluß: 76/632
Wohnung 52 92 260
Die Hauptabteilung IX leitet daraufhin die erforderlichen Maßnahmen ein.
Ich bitte um entsprechende Veranlassung.
[Unterschrift: unleserlich]
i.V. Thiel
Oberstleutnant