Signatur: BArch, MfS, AOP, Nr. 17683/62, Bd. 2, Bl. 75-80
Bei ihren Ermittlungen gegen einen Ost-Berliner Tierpfleger 1959 stieß die Stasi auf eine illegale "Nebentätigkeit" des Verdächtigen. Sie fasste ihre Erkenntnisse in einem Bericht zusammen.
Am 2. Juli 1955 wurde der Tierpark auf dem Gelände des enteigneten Schlossparks Friedrichsfelde in Ost-Berlin eröffnet. Seine Entstehung war eng mit den politischen Entwicklungen der Nachkriegsjahre verknüpft: Der 1844 eröffnete und weltweit renommierte Berliner Zoologische Garten gehörte nach der Teilung zum Westteil der Stadt. Im Kontext des Kalten Krieges und der Systemkonkurrenz wollte die SED-Führung verhindern, dass die DDR auf diesem Gebiet ins Hintertreffen geriet. Mit dem Aufbau eines eigenen Tierparks erhoffte sie sich internationale Anerkennung der noch jungen DDR.
Als Schau- und Handelsobjekten kam den Tieren ein hoher Wert zu. Tierpark und Zoo versuchten sich auf diesem Gebiet gegenseitig zu übertrumpfen. Jeder wollte seinen Besucherinnen und Besuchern die exotischsten Exemplare präsentieren. Ein Großteil der Tiere für Ost-Berlin kam aus sozialistischen "Bruderstaaten" wie der Sowjetunion, China oder Vietnam.
Als politisch und volkswirtschaftlich bedeutendes Objekt war der Tierpark von Beginn an staatlicher Überwachung ausgesetzt. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ließ sich unter anderem über internationale Konferenzen im Tierpark und den Zustand der Tierhäuser im Winter berichten. In einzelnen Fällen ging es aber auch gezielt gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor.
Ab April 1958 verendeten im Tierpark Friedrichsfelde vermehrt Tiere mit Vergiftungserscheinungen. Betroffen waren sowohl Tiere in den Gehegen als auch im Quarantänelager. Als die Todesfälle Anfang 1959 zunahmen, schaltete sich das MfS ein. Wegen des Verdachts der vorsätzlichen Tötung legte die Stasi am 26. Februar 1959 einen Überprüfungsvorgang an. Darin ermittelte sie gegen mehrere Tierpfleger. Gerade in der Anfangszeit des Tierparks bedeutete der Verlust von zum Teil sehr wertvollen Tieren einen hohen Schaden. Außerdem drohte das Ansehen des Tierparks unter den Vorfällen zu leiden.
Die Ermittlungen fielen in den Zuständigkeitsbereich der MfS-Kreisdienststelle Lichtenberg, die sich direkt neben dem Tierpark befand. Durch Beobachtungen, Postüberwachung und den Einsatz geheimer Informatoren versuchte sie gemeinsam mit der Volkspolizei (VP), den Verantwortlichen für die Tiervergiftungen zu überführen.
Schon bald nahm die Geheimpolizei einen Hauptverdächtigen ins Visier: den 24-jährigen Günther Rabe (Name geändert), der ab 1. September 1955 als Tier-, später als Oberpfleger im Tierpark arbeitete.
Im Zuge seiner Ermittlungen deckte das MfS eine "Nebentätigkeit" Rabes auf: den illegalen Tierhandel. Anfang November 1959 fasste es seine Erkenntnisse in einem Bericht zusammen.
Ab April 1959 bezog Rabe über Tierhändler in Westdeutschland und der ČSSR exotische Tiere wie Schlangen, Schildkröten und sogar Affen. Diese nahm er in der West-Berliner Wohnung seiner Schwiegermutter in Empfang. Anschließend verkaufte er sie in der DDR am staatseigenen Deutschen Innen- und Außenhandel vorbei auf dem Schwarzmarkt weiter.
Durch Aussagen von Rabes Kollegen, von denen einer den Tierpfleger im Auftrag von MfS und VP sogar bei seinen Tiergeschäften unterstützte, gelangten die Sicherheitsorgane an Informationen. Auch die bei Zimmer- und Wohnungsdurchsuchungen gefundenen Briefe lieferten reichlich Beweise für den illegalen Tierhandel Rabes.
[Handschriftliche Ergänzung: 367]
daß die Schwiegermutter in Westberlin vermutlich die Empfangsstelle für Westdeutschland ist, da die Post von Westdeutschland aus in den demokratischen Sektor sicher vom AZKW kontrolliert werden würde.
Weitere Hinweise für Tierschiebungen
1.) Bei der bereits genannten konspirativen Durchsuchung des Büros des [pseudonymisiert: Rabe] am 12.10.1959 wurde unter anderem ein Brief eines
[pseudonymisiert: Pavel Korinek]
[anonymisiert], Praha. 12 ( CSR )
an den [pseudonymisiert: Rabe] gefunden, der an seine Privatadresse gerichtet war. In diesem sehr persönlich gehaltenen Brief teilte dieser [pseudonymisiert: Korinek] mit, daß er in Kürze wieder Reptilien bekommen wird. Besonders beim Erhalt von Exemplaren der Boa constriktor würde er an [pseudonymisiert: Rabe] denken. Die Boa constriktor ist eine giftige südamerikanische Schlange, die von einem Zootierhändler in Leipzig, von dem im weiteren Bericht noch die Rede sein wird, zum Preise von 2.750,- DM angeboten wird.
Dieser [pseudonymisiert: Korinek] bat in diesem Brief gleichzeitig noch um Übersendung eines farbigen Zierfischkatalogs für einen Freund aus Wien (Österreich).
Der anscheinend bestehende Schieberring um [pseudonymisiert: Rabe] scheint also auch über internationale Beziehungen zu verfügen.
2.) Der bereits genannte [pseudonymisiert: Wolfgang Schaffner] war Zeuge einer Verhandlung am 06.05.1959 zwischen dem [pseudonymisiert: Rabe] und einem Angehörigen des Zirkus Krämer, der zu diesem Zeitpunkt in Jüterbog gastierte, im Tierpark. Er verhandelte mit dem [pseudonymisiert: Rabe] über den Ankauf von 3 Rhesus-Affen, die ua. 500,- bis 600,- DM kosten sollen. Desweiteren bot der [pseudonymisiert: Rabe] dem Mann vom Zirkus noch 10 kleine Kaimane an. Auch bot er noch einen Schimpansen an, der jedoch einen Fehler haben mußte, denn er wurde zum Preise von nur 800,- Westmark angeboten. Ob dieser Handel zustande kam, konnte nicht festgestellt werden.
3.) In einem Gespräch mit diesem [pseudonymisiert: Schaffner] gab dieser noch an, daß der [pseudonymisiert: Rabe] ihm gegenüber noch angab, daß er auch noch die beliebten Schmuckschildkröten zum Preise von 3,- bis 20,- DM
Neben der offiziellen Durchsuchung als strafprozessualer Ermittlungshandlung (gemäß §§ 108–119 StPO/1968) führte das MfS illegale, konspirative Durchsuchungen durch, bei denen heimlich in Wohnungen oder Büros eingebrochen wurde, meistens um unbemerkt an Beweismittel zu gelangen, die später ggf. durch ein nochmaliges Auffinden im Zuge einer legalen Durchsuchung offizialisiert wurden. Eingesetzt wurden dafür spezialisierte Mitarbeiter der Linie VIII (HA VIII).
Der Überprüfungsvorgang war eine Vorgangsart von 1953 bis 1960; bei Verdacht einer "feindlichen Tätigkeit" gegen eine oder mehrere Personen gerichtet. Bei Verdachtsbestätigung sollte entweder eine Verhaftung oder die Überführung in einen Operativen Vorgang (Einzelvorgang, Gruppenvorgang) erfolgen. Überprüfungsvorgänge waren zentral in der Abt. XII zu registrieren; betroffene Personen und ihre Verbindungen waren in der zentralen Personenkartei (F 16), involvierte Organisationen in der zentralen Objektkartei (F 17) zu erfassen. 1960 wurde der Überprüfungsvorgang in die Vorgangsart Vorlauf Operativ überführt.
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Bericht zur konspirativen Durchsuchung eines Dienstzimmers im Ost-Berliner Tierpark Dokument, 2 Seiten
Bericht der KD Lichtenberg über Tiervergiftungen im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde Dokument, 10 Seiten
Bericht über toxikologische Untersuchungen im Tierpark-Fall 1959 Dokument, 9 Seiten
Beschluss zur Entlassung eines Tierpflegers aus der Untersuchungshaft Dokument, 4 Seiten