Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 57/56, Bd. 2, Bl. 188-189
Die Staatssicherheit überwachte Elli Barczatis und Karl Laurenz über vier Jahre lang. Sie nahm Observierungen vor und hörte Gespräche ab. Ende 1954/Anfang 1955 spitzte sich die Lage für das Paar zu. Knapp drei Monate vor der Verhaftung beobachtete ein Mitarbeiter der Abteilung VIII Laurenz bei einem Treffen in West-Berlin.
Elli Barczatis wurde Anfang der 50er Jahre vermutlich ohne ihr Wissen zur Informantin für die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der westdeutsche Geheimdienst nutzte sie als Quelle in Ost-Berlin, ohne sie offiziell in diese Tätigkeit einzuweihen. Von April 1950 bis Januar 1953 war Barczatis die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Kurz zuvor ging sie eine Liebesbeziehung mit dem Journalisten und Übersetzer Karl Laurenz ein, der nach seinem Bruch mit der SED und den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten 1952 begonnen hatte, für die Organisation Gehlen zu spionieren. Unter dem Vorwand, Material für seine journalistische Arbeit zu sammeln, ließ er sich von Barczatis mit internen Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten versorgen.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde früh auf die beiden aufmerksam. Nach dem Bericht einer ehemaligen Kollegin von Barczatis über ein Treffen mit Laurenz intensivierte die Stasi ihre Ermittlungen. Nachdem sich der Verdacht auf eine Spionagetätigkeit erhärtet hatte, eröffnete sie am 26. Juni 1951 den Gruppenvorgang "Sylvester". Es folgten weitere Schritte der Überwachung, wie Observierungen, Telefonüberwachungen und Briefkontrollen. 1954 verfestigte sich der Spionageverdacht gegen Barczatis, nachdem eine ihrer Kolleginnen, die für das MfS arbeitete, ihr eine Falle gestellt hatte. Da das Beweismaterial aber nicht ausreichte, musste die Geheimpolizei weitere Ermittlungen anstellen. Der vorliegende Beobachtungsbericht zeigt, wie akribisch sie dabei vorging.
Am 26. November 1954 observierte ein Mitarbeiter der Abteilung VIII (Beobachtung/Ermittlung) Laurenz – Deckname "Knösel" – in Ost- und West-Berlin. Wie der Beobachtungsbericht zeigt, interessierte den Beobachter vor allem ein Mann – Deckname "Dicker" – mit dem sich Laurenz in einem West-Berliner Café traf und mit dem er offenbar Informationen austauschte. Nach dem Treffen der beiden verfolgte der Stasi-Mitarbeiter "Dicker", der kurz darauf einen anderen Mann traf. Vermutlich handelte es sich bei den beiden Männern um Mitarbeiter der Organisation Gehlen. Der Beobachter notierte das Kennzeichen des Autos, in das die "Beobachtungsobjekte" stiegen, und brach die Beobachtung anschließend ab. Die Stasi veranlasste daraufhin eine Überprüfung des Kennzeichens, ein Ergebnis ist in den Akten jedoch nicht überliefert.
Regierung der Deutschen Demokratischen Republik
Ministerium des Innern
Staatssekretariat für Staatssicherheit
Geheim
No 17485
Verwaltung: [Auslassung]
Abteilung: VIII
Referat: Ia
Sachbearbeiter: Lang
Telefon: 227
An die Abteilung V/4/A Gen. Werner
Verwaltung [Auslassung] des Staatssekretariats für Staatssicherheit
Beobachtungsbericht
Für den 26.11.1954 von 10:00 bis 16:10 Uhr
Objekt: "Knösel"
Um 10:00 Uhr wurde Knösel an der Straßenbahnhaltestelle der Linie 46 aufgenommen. [manuell unterstrichen, rot: Knösel befand sich in Begleitung einer weiblichen Person.] Diese erhält in den laufenden Berichten den Decknamen "Tante". Beide fuhren mit der Straßenbahn Nr. 46 bis zur Max-Reinhardstr. [manuell unterstrichen, rot: Von hier aus gingen sie durch die Marx-Reinhardt-Str.-Albrechtstr. zur Marienstr. Tante trente sich nun von Knösel und betrat in dieser Straße die DHZ Chemie. Unterwegs bekam Tante von Knösel ein in weißes Papier eingewickeltes Paket was sie mit zur DHZ nahm.] Um 10:55 Uhr kam Tante wieder aus dem Gebäude ohne Paket. Knösel und Tante gingen nun gemeinsam zum S-Bahnhof Friedrichstr. und fuhren um 11:00 Uhr mit einem Zug bis Bahnhof Zoo. [manuell unterstrichen, rot: Vorher übergab Knösel heimlich Tante ein weißes Kuvert, welche sie in ihrer Manteltasche verstaute.]
Nach Verlassen des Zuges gingen beide durch die Joachimsthalerstr. zum Kurfürstendamm. Vor der Filmbühne "Wien" blieben sie stehen und [unleserlich gemacht] [handschriftlich korrigiert: sprachen] miteinander.Nachdem ginge sie zum "Marmorhaus"und kauften sich Kinokarten. Vor dem Kino verabschiedeten sie sich.
[manuell unterstrichen, rot: Knösel ging dann den Kurfürstendammentlang und betat dort das Cafe [handschriftlich korrigiert: "Marquardt"] im Kempinski Hotel. Im Cafe unterhielt sich Knösel mit einer männlichen Person, welche den Decknamen "Dicker" erhält.]
Operative Beobachtung
Die Beobachtung zählte zu den konspirativen Ermittlungsmethoden, die in der Regel von operativen Diensteinheiten in Auftrag gegeben und von hauptamtlichen Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt wurden. Dabei wurden sog. Zielpersonen (Beobachtungsobjekte genannt) über einen festgelegten Zeitraum beobachtet, um Hinweise über Aufenthaltsorte, Verbindungen, Arbeitsstellen, Lebensgewohnheiten und ggf. strafbare Handlungen herauszufinden. Informationen aus Beobachtungen flossen in Operative Personenkontrollen, Operative Vorgänge oder Sicherheitsüberprüfungen ein. Im westlichen Ausland wurden Beobachtungen meist von IM unter falscher Identität ausgeführt.
Vorgangsart von 1950 bis 1960, erstmals definiert in den Erfassungsrichtlinien vom 20.9.1950; Operativer Vorgang gegen mehrere Personen, denen eine "feindliche Tätigkeit" unterstellt wurde. Die Eröffnung eines Gruppenvorgangs hatte auf der Grundlage von "überprüftem Material", das z. B. durch einen Überprüfungsvorgang gewonnen wurde, zu erfolgen. Er war zentral in der Abteilung XII zu registrieren. Die betroffenen Personen und ihre Verbindungen waren in der zentralen Personenkartei (F 16), involvierte Organisationen in der zentralen Feindobjektkartei (F 17) zu erfassen.
Am 23.7.1953 wurde durch formellen Regierungsbeschluss das Ministerium für Staatssicherheit zu einem Staatssekretariat herabgestuft und in das Ministerium des Innern (MdI) eingegliedert. Diese Maßnahme erschien als Reaktion der SED auf dessen (vermeintliches) Versagen im Zusammenhang mit dem Juniaufstand. Denn sie ging mit der Absetzung Wilhelm Zaissers als Minister, der Einsetzung Ernst Wollwebers als Staatssekretär und einer harten Abrechnung Walter Ulbrichts mit der Arbeit der Staatssicherheit auf dem 15. ZK-Plenum einher.
Die naheliegende zeitgenössische und auch heute noch vorherrschende Deutung ist nicht vollkommen zutreffend. Die Veränderung entsprach der damaligen Zuordnung der sowjetischen Staatssicherheit, die seit dem 15.3.1953 ebenfalls Teil des Innenministeriums war, und auch der der meisten anderen "Bruderorgane".
Sie war zudem schon am 30.6.1953, also noch bevor der Machtkampf in der SED Führung sich zuungunsten Zaissers entwickelt hatte, auf Betreiben von Lawrentij Berija vom SED-Politbüro beschlossen worden. Dabei ging es nicht um eine Abstrafung der DDR-Staatssicherheit, sondern um ein (kosmetisches) Entspannungssignal an den Westen. Wahrscheinlich war zu diesem Zeitpunkt Zaisser noch als Chef des erweiterten Innenministeriums vorgesehen.
Im unmittelbaren Kontext seiner Verkündung wurde der Beschluss als demonstrative Degradierung der Staatssicherheit aufgefasst, zumal Wollweber anders als sein Vorgänger nicht in das Politbüro kooptiert wurde. Das Staatssekretariat war dem Innenminister Willi Stoph gleichwohl nur formal unterstellt. Es erhielt ein eigenes Kollegium und nicht Stoph, sondern Wollweber vertrat die Staatssicherheitsangelegenheiten gegenüber der SED-Führung und in der Sicherheitskommission des ZK.
Die Staatssicherheit betreffende dienstliche Weisungen gingen ausschließlich vom Staatssekretär und seinen Stellvertretern aus, nicht vom Innenminister. Am 24.11.1955 wurde das Staatssekretariat durch Ministerratsbeschluss wieder in den Rang eines Ministeriums erhoben.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 57/56, Bd. 2, Bl. 188-189
Die Staatssicherheit überwachte Elli Barczatis und Karl Laurenz über vier Jahre lang. Sie nahm Observierungen vor und hörte Gespräche ab. Ende 1954/Anfang 1955 spitzte sich die Lage für das Paar zu. Knapp drei Monate vor der Verhaftung beobachtete ein Mitarbeiter der Abteilung VIII Laurenz bei einem Treffen in West-Berlin.
Elli Barczatis wurde Anfang der 50er Jahre vermutlich ohne ihr Wissen zur Informantin für die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der westdeutsche Geheimdienst nutzte sie als Quelle in Ost-Berlin, ohne sie offiziell in diese Tätigkeit einzuweihen. Von April 1950 bis Januar 1953 war Barczatis die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Kurz zuvor ging sie eine Liebesbeziehung mit dem Journalisten und Übersetzer Karl Laurenz ein, der nach seinem Bruch mit der SED und den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten 1952 begonnen hatte, für die Organisation Gehlen zu spionieren. Unter dem Vorwand, Material für seine journalistische Arbeit zu sammeln, ließ er sich von Barczatis mit internen Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten versorgen.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde früh auf die beiden aufmerksam. Nach dem Bericht einer ehemaligen Kollegin von Barczatis über ein Treffen mit Laurenz intensivierte die Stasi ihre Ermittlungen. Nachdem sich der Verdacht auf eine Spionagetätigkeit erhärtet hatte, eröffnete sie am 26. Juni 1951 den Gruppenvorgang "Sylvester". Es folgten weitere Schritte der Überwachung, wie Observierungen, Telefonüberwachungen und Briefkontrollen. 1954 verfestigte sich der Spionageverdacht gegen Barczatis, nachdem eine ihrer Kolleginnen, die für das MfS arbeitete, ihr eine Falle gestellt hatte. Da das Beweismaterial aber nicht ausreichte, musste die Geheimpolizei weitere Ermittlungen anstellen. Der vorliegende Beobachtungsbericht zeigt, wie akribisch sie dabei vorging.
Am 26. November 1954 observierte ein Mitarbeiter der Abteilung VIII (Beobachtung/Ermittlung) Laurenz – Deckname "Knösel" – in Ost- und West-Berlin. Wie der Beobachtungsbericht zeigt, interessierte den Beobachter vor allem ein Mann – Deckname "Dicker" – mit dem sich Laurenz in einem West-Berliner Café traf und mit dem er offenbar Informationen austauschte. Nach dem Treffen der beiden verfolgte der Stasi-Mitarbeiter "Dicker", der kurz darauf einen anderen Mann traf. Vermutlich handelte es sich bei den beiden Männern um Mitarbeiter der Organisation Gehlen. Der Beobachter notierte das Kennzeichen des Autos, in das die "Beobachtungsobjekte" stiegen, und brach die Beobachtung anschließend ab. Die Stasi veranlasste daraufhin eine Überprüfung des Kennzeichens, ein Ergebnis ist in den Akten jedoch nicht überliefert.
[manuell unterstrichen, rot: Bei der Unterhaltung der Beiden zeigte Knösel dem Dicken einige Akten Din A4.] Um 12:50 Uhr verließ Knösel das Cafe, hier wurde dann die Beobachtung bei Knösel abgebrochen und der Treffpartner aufgenommen.
Dicker [handschriftlich korrigiert: telefonierte] im Cafe einige Male. Nachdem verließ Dicker das Cafe und ging über den Kurfürstendamm zur Joachimsthalerstr. wo er im Vorraum des S-Bahnhofes eines Bedürfnisanstalt aufsuchte. Nach Verlassen derselben ging Dicker zum Zeitkino in der Joachimsthalerstr. Ecke Kantstr. und betrat dieses um 13:30 Uhr. Hier sah e er sich eine Vorstellung an und fuhr um 14:40 Uhr mit der U-Bahn vom Bahnhof Zoo bis zum Reichskanzler Platz. Hier ging er eine Kurze Strecke in die Reichstr., machte dann wieder kehrt und betrat um 15:00 das Lokal zur KLLindenwirtin in der Linden-Allee Nr.28. [manuell unterstrichen, rot: Um 16:10 Uhr verließ Dicker in Begleitung einer männlichen Person, welche den Decknamen "Starker" erhält, das Lokal. Beide gingen zur Reichstr. und stiegen dort in einen parkenden PKW mit dem Kennzeichen [anonymisiert]. Der PKW fuhrt nun in Richtung Ruhleben. Beobachtung wurde dann abgebrochen.
gefertigt: 2 Expl.
durch: [Unterschrift: Lang]; Lang
Abteilungsleiter
Oberstleutnant
Referatsleiter
[Unterschrift: i.V. [unleserlich]]
Hauptmann
Operative Beobachtung
Die Beobachtung zählte zu den konspirativen Ermittlungsmethoden, die in der Regel von operativen Diensteinheiten in Auftrag gegeben und von hauptamtlichen Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt wurden. Dabei wurden sog. Zielpersonen (Beobachtungsobjekte genannt) über einen festgelegten Zeitraum beobachtet, um Hinweise über Aufenthaltsorte, Verbindungen, Arbeitsstellen, Lebensgewohnheiten und ggf. strafbare Handlungen herauszufinden. Informationen aus Beobachtungen flossen in Operative Personenkontrollen, Operative Vorgänge oder Sicherheitsüberprüfungen ein. Im westlichen Ausland wurden Beobachtungen meist von IM unter falscher Identität ausgeführt.
Vorgangsart von 1950 bis 1960, erstmals definiert in den Erfassungsrichtlinien vom 20.9.1950; Operativer Vorgang gegen mehrere Personen, denen eine "feindliche Tätigkeit" unterstellt wurde. Die Eröffnung eines Gruppenvorgangs hatte auf der Grundlage von "überprüftem Material", das z. B. durch einen Überprüfungsvorgang gewonnen wurde, zu erfolgen. Er war zentral in der Abteilung XII zu registrieren. Die betroffenen Personen und ihre Verbindungen waren in der zentralen Personenkartei (F 16), involvierte Organisationen in der zentralen Feindobjektkartei (F 17) zu erfassen.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.