Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 109/65, Bl. 256-267
Die Justizministerin, der Generalstaatsanwalt und der Innenminister informierten über neue Gesetze im Kampf gegen die Republikflucht.
Viele Menschen sahen in den 50er Jahren auf Grund der politischen Entwicklungen in der DDR keine Perspektive. Infolge des niedergeschlagenen Volksaufstand vom 17. Juni 1953, von Repressionsmaßnahmen durch den SED-Staat und schlechten wirtschaftlichen Bedingungen schwoll die Fluchtbewegung immer weiter an. Zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms novellierte die Volkskammer der DDR im Dezember 1957 das Passgesetz. Das Verlassen der DDR wurde als "Republikflucht" strafrechtlich verfolgt und mit Haftstrafen bis zu drei Jahren geahndet. Auch der Versuch, die Vorbereitung und die Beihilfe dazu wurden mit Gefängnis bedroht. Parallel dazu trat 1958 das Strafrechtsergänzungsgesetz in Kraft, das unter anderem in Paragraph 21 die "Verleitung zum Verlassen der DDR" unter Strafe stellte.
Eine gemeinsame Direktive der Justizministerin Hilde Benjamin, des Generalstaatsanwaltes Ernst Melsheimer und des Innenministers Karl Maron informierte über die neuen Gesetze und ihre Anwendung. Insgesamt wurden zwischen 1958 und dem Sommer 1961 über 23.000 Ermittlungsverfahren wegen Grenzverletzungen und Republikflucht eingeleitet. Die Stasi untersuchte die aus Sicht des Regimes schwerwiegendsten Fälle. Das Gros fiel jedoch in die Zuständigkeit der Volkspolizei.
Berlin, den 15.Februar 1958
Nur für den Dienstgebrauch
Gemeinsame Direktive
des Ministers der Justiz
des Generalstaatsanwaltes und
des Ministers des Innern
über die Anwendung des Paßgesetzes
Mit dem Gesetz zur Änderung des Passgesetzes ist eine dringend notwendige strafrechtliche Regelung über das Verlassen und Betreten der DDR und über den Reiseverkehr erfolgt, die sich zwingend aus der Tatsache des Bestehens zweier deutscher Staaten auf dem Territorium Deutschlands ergab. Die im Gesetz über den 2. Fünfjahrplan vorgesehene Steigerung der Produktion von 46,2 Milliarden DM auf 63,6 Milliarden DM im Jahre 1960 wird erheblich erschwert, wenn die von Westdeutschland planmäßig betriebene Abwerbung von Arbeitskräften nicht unterbunden wird. Das Ziel dieses Gesetzes ist, den Feinden unseres Arbeiter- und Bauern-Staates ihre krigeshetzerische Tätigkeit zu erschweren und unsere Bürger vor den Umtrieben westlicher Agentenorganisationen oder sonstiger feindlicher Institutionen zu schützen. Eine vordringliche Aufgabe der Volkspolizei, der Staatsanwaltschaft und der Gerichte ist es,diesem Gesetz Autorität zu verschaffen. Bei der Anwendung dieses Gesetzes sind, soweit nicht andere Strafbestimmungen insbesondere die §§ 13 - 23 des StBG, zu beachten.
I. Unter das Gesetz fallen im einzelnen folgende Handlungen:
1. das illegale Betreten und Verlassen des Gebietes der Deutschen Demokratischen Republik;
2. der illegale Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik;
3. das Abweichen von den Interzonenstrecken;
4. das Erschleichen einer Aufenthaltserlaubnis bzw. einer PM 12 a;
5. die Nichteinhaltung der örtlichen Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis!
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 109/65, Bl. 256-267
Die Justizministerin, der Generalstaatsanwalt und der Innenminister informierten über neue Gesetze im Kampf gegen die Republikflucht.
Viele Menschen sahen in den 50er Jahren auf Grund der politischen Entwicklungen in der DDR keine Perspektive. Infolge des niedergeschlagenen Volksaufstand vom 17. Juni 1953, von Repressionsmaßnahmen durch den SED-Staat und schlechten wirtschaftlichen Bedingungen schwoll die Fluchtbewegung immer weiter an. Zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms novellierte die Volkskammer der DDR im Dezember 1957 das Passgesetz. Das Verlassen der DDR wurde als "Republikflucht" strafrechtlich verfolgt und mit Haftstrafen bis zu drei Jahren geahndet. Auch der Versuch, die Vorbereitung und die Beihilfe dazu wurden mit Gefängnis bedroht. Parallel dazu trat 1958 das Strafrechtsergänzungsgesetz in Kraft, das unter anderem in Paragraph 21 die "Verleitung zum Verlassen der DDR" unter Strafe stellte.
Eine gemeinsame Direktive der Justizministerin Hilde Benjamin, des Generalstaatsanwaltes Ernst Melsheimer und des Innenministers Karl Maron informierte über die neuen Gesetze und ihre Anwendung. Insgesamt wurden zwischen 1958 und dem Sommer 1961 über 23.000 Ermittlungsverfahren wegen Grenzverletzungen und Republikflucht eingeleitet. Die Stasi untersuchte die aus Sicht des Regimes schwerwiegendsten Fälle. Das Gros fiel jedoch in die Zuständigkeit der Volkspolizei.
6. der Mißbrauch der PM 12 a zu Auslandsreisen;
7. die Überschreitung von Reisefristen.
Strafbar sind auch Vorbereitung und Versuch dieser Handlungen.
Das Paßgesetz schützt somit die ordnungsgemäße Tätigkeit der Staatsorgane.
II. Die Einschätzung der Gesellschaftsgefährlichkeit der verschiedenen Verstöße gegen §8 des Paßgesetzes
a) Das illegale Verlassen der DDR
Jedes illegale Verlassen der DDR nach Westdeutschland ist grundsätzlich gesellschaftsgefährlich, weil es eine Hilfe für die westdeutsche Militärbasis der NATO mit Arbeitskräften und einen Verlust von Arbeitskräften für die DDR bedeutet. Das illegale Verlassen der DDR stellt somit politisch-moralisch einen Verrat an den friedlichen Interessen unseres Volkes dar.
Bei der Ermittlung des Grades der Gesellschaftsgefährlichkeit sind aber eine Reihe weiterer Umstande zu beachten. So ist z.B. das illegale Verlassen der DDR durch einen leitenden Angehörigen des Staatsapparates besonders gesellschaftsgefährlich, da diese Person zur Legalisierung des Aufenthaltes in Westdeutschland über das sogenannte "Bundesnotaufnahmeverfahren" zu Angaben über seine dienstliche Tätigkeit gezwungen werden kann, die für die Agentenzentralen von besonderer Bedeutung sind.
Begibt sich ein Ingenieur oder ein sonstiger Spezialist illegal nach Westdeutschland,so hemmt er nich nur unseren sozialistischen Aufbau, sondern hilft auch bewusst oder unbewusst die westdeutsche Militärbasis zu stärken. Bei der Einschätzung der Gesellschaftsgefährlichkeit dieser Handlung kann auch nicht ausser acht gelassen werden, wenn z.B. ein Jungingenieur, ein Junglehrer, ein Student usw. der mit Arbeitergroschen ausgebildet wurde, das in ihn gesetzte Vertrauen bricht. Die Gesellschaftsgefährlichkeit ist aber bei wiederholtem illegalen Verlassen grösser, als bei einer einmaligen Vorbereitungshandlung oder einem Versuch. In jedem Falle des illegalen Verlassens der DDR müssen die bisherige Tätigkeit und andere in der Persönlichkeit des Tätern liegende Umstände untersucht und berücksichtigt werden.
Das Gesetz zur Änderung des Passgesetzes schützt nicht nur die Interessen des Staates, sondern vor allem auch die Interessen eines
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Offene Fragen zur Ausbürgerung Wolf Biermanns Dokument, 5 Seiten
Bericht über die Entwicklung der Republikflucht 1960 Dokument, 45 Seiten
Informationen der Abteilung M zu Einschränkungen in der Reisefreiheit Dokument, 2 Seiten
Anlagen zum Befehl Nr. 11/74 zur "Absicherung" der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 Dokument, 5 Seiten