Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 18533, Bl. 1-34
Obwohl die westlichen Geheimdienste den Volksaufstand in der DDR verschliefen, deutete die SED-Führung den Aufstand kurzerhand propagandistisch um. Es sei ein aus dem Ausland gesteuerter "faschistischer" Putsch gewesen.
1953 entzündete sich an Normerhöhungen der gärende Unmut der DDR-Bürger. Aus spontanen Streiks von Arbeitern in Industriebetrieben und auf Baustellen in Ost-Berlin entwickelte sich ein Aufstand, der das ganze Land erfasste. Erst die Präsenz sowjetischer Truppen auf den Straßen des Landes brachte die Lage wieder unter Kontrolle der Staatsmacht.
Der Volksaufstand traf das MfS genauso unvorbereitet wie die SED-Führung. Weil die SED aber nicht akzeptieren konnte, dass große Teile der Bevölkerung ihre Politik ablehnten, deutete ihre Führung den Aufstand kurzerhand propagandistisch um. Es sei ein aus dem Ausland gesteuerter "faschistischer" Putsch gewesen.
Im November 1953 fielen der DDR-Staatssicherheit Dokumente des bundesdeutschen Nachrichtendienstes "Organisation Gehlen" aus der Zeit unmittelbar nach den Juni-Ereignissen in die Hände. Daraus wird unter anderem deutlich, dass die spontane Entstehung der Streikbewegung genauso wenig in das Weltbild der westdeutschen Nachrichtendienstler wie in das der DDR-Sicherheitsorgane passte.
Die Dokumente offenbarten ein solches Ausmaß an Ahnungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit, dass die These einer westlichen Steuerung der Ereignisse schon damit hätte erledigt sein müssen. Während die Stasi beweisen wollte, dass es sich bei dem Volksaufstand um einen aus dem Westen gesteuerten Putsch gehandelt habe, glaubten die westlichen Geheimdienste, es handelte sich um eine von den Sowjets inszenierte Aktion.
Trotzdem und wider besseren Wissens gab der Nationalrat eine Broschüre heraus, in der die westlichen Geheimdienste und Organisationen beschuldigt werden, den Aufstand "vorbereitet und durchgeführt" zu haben.
Weiter wird in diesem Artikel festgestellt:
"Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die gegenwärtigen koordinierten Angriffe gerade gegen den Nachrichtendienst des Generals a.D. Gehlen einen ganz bestimmten Zweck verfolgen. Sie sollen dazu führen, daß eine Übernahme dieses wirksamen Dienstes in den Verantwortungsbereich der Bundesrepublik unbedingt verhindert wird ... Daß auch Zeitungen, die nur mit Hilfe amerikanischer Subsidien lebensfähig waren, die Abhängigkeit des gegenwärtig noch mit amerikanischen Mitteln finanzierten "Gehlen-Dienstes" herausstellen, ist mehr als grotesk. Dabei weiß nicht nur der Eingeweihte, daß ein wirklich vollwertiger deutscher Nachrichtendienst unter den einschneidenden Bestimmungen des Besatzungsstatutes überhaupt nur mit Hilfe einer Besatzungsmacht aufgebaut werden konnte."
Das ist noch deutlicher. Wer Dollars bezieht, hat die Schnauze zu halten. Wo käme man denn sonst hin. Es ist schon unangenehm genug, wenn die westdeutsche Öffentlichkeit von der "Deutschen Volkszeitung" Fulda erfahren mußte, daß "die Amerikaner Mördern und Banditen politisches Asyl gewähren und dunkle Elemente aushalten, die hinter dem sogenannten "Eisernen Vorhang" alle Arten von Unheil anrichten wollen.
Die "Deutsche Volkszeitung", Fulda, hatte in ihrem Artikel vom 9. November 1953 niemanden darüber im unklaren gelassen, daß die USA Auftraggeber und Drahtzieher der Sabotage- und Spionage-Gruppen in der Deutschen Demokratischen Republik sind, ebenso in Ostberlin.
Das Blatt gibt einen Auszug aus der Meldung des Ministeriums des Innern vom 1. November 1953 wieder und fährt darauf fort:
"Anläßlich solcher Verhaftungen ist es üblich, daß in Rundfunk und Presse Westdeutschlands ein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht wird, daß in der DDR die "Freiheit der Persönlichkeit" nicht gewährleistet sei.
Die Haltung sowohl der westdeutschen als auch der amerikanischen Presse zu diesem Problem ist allerdings geteilt. Auf der einen Seite wird dementiert, daß bezahlte Agenten und Saboteure Weisungen erhalten haben, in der DDR oder in Ländern "hinter dem Eisernen Vorhang" Schaden anzurichten; andererseits wird es eingestanden, und manche Zeitungen berichteten sogar frohlockend über die Erfolge der Provokateure.
Bereits am 9. Dezember 1951 schrieb kein Geringerer als James Reston in der "New York Times", daß man für den kalten Krieg nicht nur das Kriegs- und Außenministerium brauche, sondern auch eine "zwischenstaatliche Verwaltung", die man als "Abteilung für schmutzige Tricks" bezeichnen kann. Und wörtlich fährt er fort:
"Die Funktion dieser zwischenstaatlichen Verwaltung für psychologische Strategie oder "Abteilung für schmutzige Tricks" besteht darin ... hinter dem Eisernen Vorhang alle Arten von Unheil anzurichten."
Die Bruderzeitung der oben zitierten, die "New York Herald Tribune", weiß auch zu berichten, wo man für diese schmutzigen Tricks das Menschenmaterial herholt. Sie sagt: "Die stärksten Gruppen sind diejenigen, die während des Krieges mit den Nazis zusammenarbeiteten. Es sind Faschisten, die den Nazis geholfen haben, die Juden und Polen auszurotten."
Soweit die Veröffentlichungen der "Deutschen Volkszeitung", Fulda.
Alle Tatsachen beweisen eindeutig: Die USA-Regierung unterhält verbrecherische Spionage- und Sabotagezentralen in Westdeutschland und in Westberlin wobei die Adenauer-Regierung die Tätigkeit dieser Organisationen billigt und unterstützt. Die USA-Regierung unterhält diese Verbrecherbanden nicht nur, weil sie den friedlichen Aufbau unserer Republik stören sollen, sondern weil sie damit gleichzeitig Haß und Zwietracht unter den Deutschen aus Ost und West säen, weil diese Verbrecherbanden mithelfen sollen, die Einheit Deutschlands auf demokratischer Grundlage zu verhindern.
Die Agenten der Spionage- und Sabotagezentralen gehören zu den Abenteurern des kalten Krieges, und ihre schmutzige Arbeit dient der Vorbereitung des geplanten heißen Krieges, des Brudermordes.
Alle Mittel der Hetze gegen unsere Republik sind den amerikanischen Bossen recht. In präparierten Konservenbüchsen werden Hetzschriften in die DDR geschmuggelt.
[Bild: Eine sichergestellte Konservendose, welche mehrere westlichen Zeitschriften beinhaltet.]
Das MfS hat als ein Instrument der DDR, insbesondere der SED-Führung, die politischen Interessen des Staates inoffiziell in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Die Westarbeit des MfS bestand aus Spionageaktivitäten, also der nachrichtendienstlichen Beschaffung von Informationen, Patenten, Verfahren und Mustern durch das MfS.
Die Bezeichnungen Westarbeit und Spionage meinen in diesem Kontext das, was beim MfS mit "operative Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" bezeichnet wird. Im engeren Sinne also die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im "Operationsgebiet", bei dem es sich überwiegend um die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin handelte, aber auch die in der NATO und der Europäischen Gemeinschaft verbundenen Staaten einschloss.
Im weiteren Sinne fallen darunter auch die Funkaufklärung und der Einsatz von Offizieren im besonderen Einsatz in Botschaften, Konsulaten usw. Erfolgte diese operative Arbeit bis Anfang der 70er Jahre wesentlich "illegal", ergaben sich mit der zunehmenden Anerkennung der DDR auch verstärkt "legale" Zugänge über die Einrichtung von Botschaften, von denen aus das MfS mit "legal abgedeckten Residenturen" arbeiten konnte.
Für die Beschaffung von wissenschaftlich-technischen, politischen und militärischen Informationen war vor allem die Hauptverwaltung A zuständig, aber nahezu gleichrangig zahlreiche Abwehrdiensteinheiten des MfS. Die Hauptabteilung I, in der DDR für die Absicherung des Militärkomplexes verantwortlich, erkundete auch die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz, den Zollgrenzdienst, die Bayerische Grenzpolizei und diverse Einrichtungen der NATO.
Die Hauptabteilung II, mit der "offensiven Abwehr" ausländischer Nachrichtendienste in der DDR befasst, arbeitete zeitweise auch gegen den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz sowie den Militärischen Abschirmdienst. Die Hauptabteilung VI überwachte neben dem Ein-, Ausreise- und Transitverkehr in der DDR auch den über innerdeutsche Grenzen hinaus von und nach Westberlin.
Die Hauptabteilung VII unterhielt im "Operationsgebiet" ebenfalls ein Netz, das im klassischen Sinne kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel aufzuklären hatte. Die Hauptabteilung VIII war für Ermittlungen und Beobachtungen zuständig. Zugleich war sie Servicediensteinheit für alle Diensteinheiten des MfS, indem sie den Informationsbedarf über Bundesbürger bediente.
Neben der Sicherungsarbeit in den Bereichen Staatsapparat, Blockparteien und "politischer Untergrundtätigkeit" war die Hauptabteilung XX im "Operationsgebiet" für alle Einrichtungen zuständig, die sich mit der DDR befassten. Im Visier der Hauptabteilung XXII standen links- und rechtsextremistische, überwiegend terroristische Gruppen.
Schließlich wäre auf Hauptabteilungsebene noch die Zentrale Kontrollgruppe anzuführen, die sich mit besonders DDR-kritischen Gruppen befasste, wie z. B. der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte oder den Fluchthilfeorganisationen. Mit der Westarbeit waren nicht allein die zentralen Abwehrdiensteinheiten befasst, sondern ihre Linien (Linienprinzip) erstreckten sich meist auch auf Bezirks- und im Einzelfall auf Kreisverwaltungsebene des MfS.
In den Kontext der Westarbeit sind auch die etwa 400 Entführungen von Bürgern aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu zählen sowie vereinzelte Versuche und Erwägungen, Bürger zu töten, wobei bislang ein Mord nicht nachgewiesen ist. Das MfS selbst verstand unter der "Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" die "Gesamtheit der politisch-operativen Kräfte des MfS im Operationsgebiet und die Nutzung solcher Personen aus dem Operationsgebiet, die zur Erfüllung operativer Aufgaben geeignet sind".
Die HV A und ihre Abteilungen XV in den Bezirksverwaltungen arbeiteten nach Schwerpunkten im "Operationsgebiet", ihre innere Struktur drückte die entsprechende Interessenlage aus.
Demnach konzentrierte sich die Abt. I auf Politik und strategische Absichten der Bundesregierung, die Abt. II auf die Parteien, Gewerkschaften, Landsmannschaften im "Operationsgebiet", die Abt. III steuerte die operative Arbeit der "legal abgedeckten Residenturen" in DDR-Botschaften, Konsulaten und Handelseinrichtungen, und die Abt. IV beschäftigte sich mit den militärischen Zentren" in der Bundesrepublik Deutschland, wozu das Bundesministerium der Verteidigung, Wehrbezirkskommandos der Bundeswehr und diverse US-amerikanische Einrichtungen gehörten. Die Abt. IX befasste sich mit westlichen Nachrichtendiensten, die Abt. XI mit den USA und die Abt. XII mit der NATO.
Die Abteilungen XIII bis XV gehörten zum Sektor Wissenschaft und Technik, der systematisch Patente, Verfahren und Muster für die DDR- und osteuropäische Forschung und Wirtschaft beschaffte. Schwerpunkte waren die Fachgebiete Energie, Biologie, Chemie, Elektronik, Elektrotechnik und Maschinenbau sowie das Bemühen, die Embargopolitik zu unterlaufen. Für offizielle, mithin dienstliche Kontakte zwischen beispielsweise DDR- und bundesdeutschen Wissenschaftlern oder Politikern war eigens die Abt. XVI der HV A zuständig, die auf diesem Weg an relevante Informationen gelangen sollte.
Während all diese Abteilungen der HV A überwiegend informationsbeschaffend tätig waren, verfügte sie mit der Abt. X eigens über eine Struktureinheit, die systematisch aktive Maßnahmen in der Bundesrepublik zu entfalten suchte.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 18533, Bl. 1-34
Obwohl die westlichen Geheimdienste den Volksaufstand in der DDR verschliefen, deutete die SED-Führung den Aufstand kurzerhand propagandistisch um. Es sei ein aus dem Ausland gesteuerter "faschistischer" Putsch gewesen.
1953 entzündete sich an Normerhöhungen der gärende Unmut der DDR-Bürger. Aus spontanen Streiks von Arbeitern in Industriebetrieben und auf Baustellen in Ost-Berlin entwickelte sich ein Aufstand, der das ganze Land erfasste. Erst die Präsenz sowjetischer Truppen auf den Straßen des Landes brachte die Lage wieder unter Kontrolle der Staatsmacht.
Der Volksaufstand traf das MfS genauso unvorbereitet wie die SED-Führung. Weil die SED aber nicht akzeptieren konnte, dass große Teile der Bevölkerung ihre Politik ablehnten, deutete ihre Führung den Aufstand kurzerhand propagandistisch um. Es sei ein aus dem Ausland gesteuerter "faschistischer" Putsch gewesen.
Im November 1953 fielen der DDR-Staatssicherheit Dokumente des bundesdeutschen Nachrichtendienstes "Organisation Gehlen" aus der Zeit unmittelbar nach den Juni-Ereignissen in die Hände. Daraus wird unter anderem deutlich, dass die spontane Entstehung der Streikbewegung genauso wenig in das Weltbild der westdeutschen Nachrichtendienstler wie in das der DDR-Sicherheitsorgane passte.
Die Dokumente offenbarten ein solches Ausmaß an Ahnungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit, dass die These einer westlichen Steuerung der Ereignisse schon damit hätte erledigt sein müssen. Während die Stasi beweisen wollte, dass es sich bei dem Volksaufstand um einen aus dem Westen gesteuerten Putsch gehandelt habe, glaubten die westlichen Geheimdienste, es handelte sich um eine von den Sowjets inszenierte Aktion.
Trotzdem und wider besseren Wissens gab der Nationalrat eine Broschüre heraus, in der die westlichen Geheimdienste und Organisationen beschuldigt werden, den Aufstand "vorbereitet und durchgeführt" zu haben.
Raffinierte Methoden der Agentenwerbung
Wir wollen weite Kreise unserer Bevölkerung in die Lage versetzen, dem Treiben der dunklen Elemente aus den westdeutschen und Westberliner Sabotagenestern wirksam zu begegnen.
Verantwortliche Mitarbeiter des Staatssekretariats für Staatssicherheit berichteten in vielen Betriebsversammlungen vor unseren Werktätigen, mit welchen ausgeklügelten Methoden die Schädlinge unseres Volkes arbeiten und wie diesen Banditen das Handwerk gelegt wurde.
Aus den Berichten, die Staatssekretär Ernst Wollweber vor Wismut-Kumpeln und vor der Belegschaft von Siemens-Plania gab, sowie aus der Ansprache von Generalleutnant Mielke im Kabelwerk Oberspree haben wir einige Beispiele ausgewählt, die zeigen, wie die Spionagezentralen bestrebt sind, ihren gelichteten Agentenstand aufzufrischen, wie sie mit Lüge, Betrug und Erpressung versuchen, sich Menschen hörig zu machen.
Besonderen Wert legt man auf die dunkelsten Elemente des Faschismus. Neben den ehemaligen Schergen der Gestapo, der SS und des SD wirbt man ehemalige Mitarbeiter des Hitlerschen Abwehrdienstes, des OKW und frühere Offiziere. Ferner Großgrundbesitzer, Großbauern und andere Menschen, die der Gesellschaftsordnung unserer Republik feindlich gegenüberstehen. Die Spionagezentralen wenden sich selbstverständlich auch an andere Kreise der Bevölkerung, die ihnen Hilfsdienste leisten sollen.
Häufig geht die Anwerbung von Agenten so vor sich: Sogenannte Kuriere, meistens Rentner, Studenten, Handelsvertreter, auch Frauen, besuchen die Personen, die geworben werden sollen.
Sie bestellen Grüße von irgendeinem Bekannten dieser Personen. Etwa so:
"Einen schönen Gruß von Herrn Bauer, den Sie aus Ihrer früheren Zusammenarbeit kennen. Er hat sich vor einiger Zeit nach Westberlin abgesetzt und wünscht Sie jetzt in einer dringenden Angelegenheit noch zu sprechen. Da er jedoch in Kürze endgültig nach Westdeutschland abfliegt, bittet er Sie, bald nach Westberlin zu kommen und ihn zu besuchen. Das Fahrgeld und Ihre Auslagen werden Ihnen selbstverständlich erstattet. Wenn Sie wollen, lasse ich Ihnen das Geld gleich hier."
Oft wird gleich Datum und Zeit des Treffpunktes ausgemacht.
Eine andere Methode:
Die zur Anwerbung in Aussicht genommene Person erhält einen Brief etwa folgenden Inhalts:
"Wie ich von einer Ihnen nahestehenden Person erfahre, sind Sie seit längerer Zeit kränklich, doch aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, etwas zur Behebung dieses Zustandes zu tun. Ich bitte Sie deshalb, möglichst umgehend nach Berlin zu kommen, um einen Weg zu finden, der Ihnen die Möglichkeit gibt, eine entscheidende Änderung Ihrer mißlichen Lage herbeizuführen. Sie werden bei Ihrem Hiersein Gelegenheit finden, mit der Ihnen nahestehenden Person, die aus begreiflichen Gründen in diesem Schreiben nicht genannt sein möchte, persönlich zusammenzukommen. Fahrgeld und Spesen werden zurückerstattet."
Man bittet dann um Antwort durch eine Eilpostkarte.
Wer auf die mündlichen Grüße oder auf derartige Schreiben hereinfällt und sich daraufhin nach Westberlin begibt, wird am Treffpunkt zumeist einen ihm unbekannten Menschen vorfinden. Der versichert dann entweder, daß der Bekannte leider schon nach Westdeutschland abgeflogen sei, und kommt dann auf den eigentlichen Zweck des Besuches zu sprechen, oder, wie im Falle des erwähnten Briefes, wird dem Betreffenden mitgeteilt, daß er unterstützt werden könne, wenn er bestimmte Nachrichten nach Westberlin liefere. Man redet ihm die Gefährlichkeit dieser Tätigkeit aus und behauptet, eine Aufdeckung sei gar nicht möglich, wenn er sich vorsichtig benehme. Natürlich verspricht man, falls er einmal wider Erwarten doch verhaftet würde, seine Familie bestens zu unterstützen und zu versorgen. Aber mit diesem Fall, so erklärt man ihm, sei gar nicht zu rechnen; wenn er Verdacht schöpfe, daß seine Tätigkeit entdeckt sei, habe er selbstverständlich die Möglichkeit, sich nach dem Westen abzusetzen, wo er ebenfalls bestens versorgt werde.
An diesen Versprechungen ist kein Wort wahr.
Menschliche Regungen sind diesen Verbrecherorganisationen fremd. Die Frauen verhafteter Agenten erhalten weder eine Unterstützung noch andere Hilfe, man gibt ihnen zynisch zur Antwort:
Anwerbung war in den Jahren 1950 bis 1968 die Bezeichnung des MfS für die Werbung von IM für die konspirative Arbeit. Im Vorfeld der Anwerbung war die Person sorgfältig, aber konspirativ zu überprüfen. In der Regel hatte der Angeworbene die Bereitschaft zur Kooperation schriftlich zu erklären und sich dabei einen Decknamen auszuwählen. Über die Anwerbung selbst war vom Führungsoffizier ein detaillierter Bericht zu fertigen.
Am 23.7.1953 wurde durch formellen Regierungsbeschluss das Ministerium für Staatssicherheit zu einem Staatssekretariat herabgestuft und in das Ministerium des Innern (MdI) eingegliedert. Diese Maßnahme erschien als Reaktion der SED auf dessen (vermeintliches) Versagen im Zusammenhang mit dem Juniaufstand. Denn sie ging mit der Absetzung Wilhelm Zaissers als Minister, der Einsetzung Ernst Wollwebers als Staatssekretär und einer harten Abrechnung Walter Ulbrichts mit der Arbeit der Staatssicherheit auf dem 15. ZK-Plenum einher.
Die naheliegende zeitgenössische und auch heute noch vorherrschende Deutung ist nicht vollkommen zutreffend. Die Veränderung entsprach der damaligen Zuordnung der sowjetischen Staatssicherheit, die seit dem 15.3.1953 ebenfalls Teil des Innenministeriums war, und auch der der meisten anderen "Bruderorgane".
Sie war zudem schon am 30.6.1953, also noch bevor der Machtkampf in der SED Führung sich zuungunsten Zaissers entwickelt hatte, auf Betreiben von Lawrentij Berija vom SED-Politbüro beschlossen worden. Dabei ging es nicht um eine Abstrafung der DDR-Staatssicherheit, sondern um ein (kosmetisches) Entspannungssignal an den Westen. Wahrscheinlich war zu diesem Zeitpunkt Zaisser noch als Chef des erweiterten Innenministeriums vorgesehen.
Im unmittelbaren Kontext seiner Verkündung wurde der Beschluss als demonstrative Degradierung der Staatssicherheit aufgefasst, zumal Wollweber anders als sein Vorgänger nicht in das Politbüro kooptiert wurde. Das Staatssekretariat war dem Innenminister Willi Stoph gleichwohl nur formal unterstellt. Es erhielt ein eigenes Kollegium und nicht Stoph, sondern Wollweber vertrat die Staatssicherheitsangelegenheiten gegenüber der SED-Führung und in der Sicherheitskommission des ZK.
Die Staatssicherheit betreffende dienstliche Weisungen gingen ausschließlich vom Staatssekretär und seinen Stellvertretern aus, nicht vom Innenminister. Am 24.11.1955 wurde das Staatssekretariat durch Ministerratsbeschluss wieder in den Rang eines Ministeriums erhoben.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 18533, Bl. 1-34
Obwohl die westlichen Geheimdienste den Volksaufstand in der DDR verschliefen, deutete die SED-Führung den Aufstand kurzerhand propagandistisch um. Es sei ein aus dem Ausland gesteuerter "faschistischer" Putsch gewesen.
1953 entzündete sich an Normerhöhungen der gärende Unmut der DDR-Bürger. Aus spontanen Streiks von Arbeitern in Industriebetrieben und auf Baustellen in Ost-Berlin entwickelte sich ein Aufstand, der das ganze Land erfasste. Erst die Präsenz sowjetischer Truppen auf den Straßen des Landes brachte die Lage wieder unter Kontrolle der Staatsmacht.
Der Volksaufstand traf das MfS genauso unvorbereitet wie die SED-Führung. Weil die SED aber nicht akzeptieren konnte, dass große Teile der Bevölkerung ihre Politik ablehnten, deutete ihre Führung den Aufstand kurzerhand propagandistisch um. Es sei ein aus dem Ausland gesteuerter "faschistischer" Putsch gewesen.
Im November 1953 fielen der DDR-Staatssicherheit Dokumente des bundesdeutschen Nachrichtendienstes "Organisation Gehlen" aus der Zeit unmittelbar nach den Juni-Ereignissen in die Hände. Daraus wird unter anderem deutlich, dass die spontane Entstehung der Streikbewegung genauso wenig in das Weltbild der westdeutschen Nachrichtendienstler wie in das der DDR-Sicherheitsorgane passte.
Die Dokumente offenbarten ein solches Ausmaß an Ahnungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit, dass die These einer westlichen Steuerung der Ereignisse schon damit hätte erledigt sein müssen. Während die Stasi beweisen wollte, dass es sich bei dem Volksaufstand um einen aus dem Westen gesteuerten Putsch gehandelt habe, glaubten die westlichen Geheimdienste, es handelte sich um eine von den Sowjets inszenierte Aktion.
Trotzdem und wider besseren Wissens gab der Nationalrat eine Broschüre heraus, in der die westlichen Geheimdienste und Organisationen beschuldigt werden, den Aufstand "vorbereitet und durchgeführt" zu haben.
"Wir sind doch keine Lebensversicherung. Bei uns muß jeder damit rechnen, eines Tages hochzugehen."
So zerstören diese Agenturen das Glück vieler Familien, die einst gut zusammenlebten, rauben den Frauen ihre Männer und den Kindern den Vater und Ernährer.
Den Spionagezentralen geht es nur darum, Agenten zu gewinnen, die ihnen als billige Werkzeuge Hilfsdienste bei ihrer schädlichen Tätigkeit leisten sollen.
Diese Agenten sind gewissenlos genug, auch die Frauen der Geworbenen in ihre gefährlichen Netze einzubeziehen. So wurde Hildegard Schmidt, Luckenwalde, Stiftstr. 9, in eine verbrecherische Spionage-Tätigkeit hineingezogen. Ihr Ehemann hatte in Westberlin Verbindung zu einer Spionagedienststelle aufgenommen. Anfang Oktober 1952 teilte Schmidt seiner Frau mit, daß der Verbindungsmann dieser Agentur, Hans Tretner, sie in Westberlin zu sprechen wünschte. Hildegard Schmidt wurde Mitarbeiterin dieser Spionagedienststelle. Im Auftrage von Tretner übermittelte sie bis zu ihrer Festnahme häufig Spionagenachrichten nach Westberlin. Da die Schmidt bei der Nazi-Wehrmacht als Funkerin beschäftigt war, wurden ihr, nach einer 14tägigen Ausbildung für den Umgang mit Geheimsendern in Westberlin, Funkgeräte zur Durchgabe von Spionagenachrichten übergeben.
In anderen Fällen wurden die Frauen von Agenten als Kuriere zur Übermittlung von Spionagenachrichten herangezogen. Diese verbrecherischen Unternehmen kennen keinerlei Rücksichten: selbst Menschen im Alter zwischen 60 und 70 Jahren werden von ihnen für ihren Agentenapparat benutzt. Ja, sie geben sich sogar der Hoffnung hin, die Sicherheitsorgane unserer Republik durch die Verwendung von Greisen und Gebrechlichen täuschen zu können. Besonderes Augenmerk wenden die Spionageagenturen dem Handel und der Versorgung in unserer Republik zu, sie sind daran interessiert, in den Organen des Handels und in den Versorgungsbetrieben neue Agenten zu werben, um die bessere Versorgung unserer Bevölkerung zu vereiteln. Wir veröffentlichen hier den Wortlaut einer Agentenanweisung:
"Anläßlich einer Besprechung bei übergeordneter Stelle wurde zum Ausdruck gebracht, daß die Forschung nach Agenten auf dem Versorgungsgebiet in nächster Zeit besondere Beachtung finden muß, und daß ihr besondere Bedeutung beizumessen sei.
Es wird daher anliegend eine Aufstellung sämtlicher im Auftrag übergeordneter Stelle arbeitenden Versorgungsobjekte übersandt und gebeten, nach geeigneten Agenten durch oder für diese Objekte zu forschen, bzw. bereits vorhandene Ansatzpunkte und Möglichkeiten mitzuteilen."
Werner Riedel aus Liebenwerda war ehemaliger Offizier der Hitler-Wehrmacht. Im Jahre 1950 wurde Riedel wegen eines Wirtschaftsvergehens zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Er brauchte die Gefängnishaft jedoch nicht abzubüßen, ihm wurde Bewährungsfrist zugebilligt. Er erhielt Arbeit in der staatlichen Handelsorganisation. Eines Tages bekam Riedel von seinem Schwager einen Brief, der ihn zu einem Besuch in Westberlin aufforderte. Er folgte der Aufforderung, traf in Westberlin mit dem Beauftragten einer Westberliner Spionagezentrale zusammen und wurde von diesem als Agent angeworben. Gleichzeitig wurde er verpflichtet, Spionagenachrichten über das Werk Hohenleipisch zu liefern und neue Agenten anzuwerben. Für diese Tätigkeit wurde ihm eine Bezahlung versprochen. Riedel führte diese Aufträge aus. Er warb den im Kreis Liebenwerda wohnenden Walter Rennert, ebenfalls ehemaliger Offizier und Inhaber hoher Naziorden, der sich bereitwillig für eine Agententätigkeit zur Verfügung stellte.
Rennert war seit Januar 1953 14- bis 15mal in Westberlin, um Spionageberichte abzugeben und neue Aufträge zu empfangen. Außerdem schrieb er Spionageberichte mit Geheimtinte auf belanglose Drucksachen, die dann nach Westberlin gesandt wurden.
Riedel und Rennert befinden sich jetzt hinter Schloß und Riegel.
Bei den Agenten, die von den Organen unserer Staatssicherheit gestellt werden konnten, wurden häufig Funkgeräte, präpariertes Papier, Geheimtinte und andere technische Mittel zur Übermittlung von Spionageberichten gefunden.
Die Existenz von Geheimtinte beweist auch ein Schreiben der Spionagezentrale Gehlen vom 17. Dezember 1952 an die Filialen. Darin heißt es:
1. Es besteht die berechtigte Annahme, daß die G-Tinte B 3 durch Verhaftung in die Hände des ostzonalen SSD gefallen und in ihrer Zusammensetzung also erkannt worden ist. Bei der Verwendung der GT B 3 auf dem Postwege ist deshalb äußerste Vorsicht geboten.
2. Bei einer Zugkontrolle Ende November 1952 in der Nähe von Berlin wurde einem Reisenden bei Leibesvisitation ein Füllhalter in sämtliche Teile zerlegt. Benutzung von Füllern als Versteck für Nachrichten ist strengstens untersagt.
Die Agentenzentralen geben sich der trügerischen Hoffnung hin, auf diese Weise ihr verbrecherisches Treiben verheimlichen zu können.
Das MfS hat als ein Instrument der DDR, insbesondere der SED-Führung, die politischen Interessen des Staates inoffiziell in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Die Westarbeit des MfS bestand aus Spionageaktivitäten, also der nachrichtendienstlichen Beschaffung von Informationen, Patenten, Verfahren und Mustern durch das MfS.
Die Bezeichnungen Westarbeit und Spionage meinen in diesem Kontext das, was beim MfS mit "operative Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" bezeichnet wird. Im engeren Sinne also die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im "Operationsgebiet", bei dem es sich überwiegend um die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin handelte, aber auch die in der NATO und der Europäischen Gemeinschaft verbundenen Staaten einschloss.
Im weiteren Sinne fallen darunter auch die Funkaufklärung und der Einsatz von Offizieren im besonderen Einsatz in Botschaften, Konsulaten usw. Erfolgte diese operative Arbeit bis Anfang der 70er Jahre wesentlich "illegal", ergaben sich mit der zunehmenden Anerkennung der DDR auch verstärkt "legale" Zugänge über die Einrichtung von Botschaften, von denen aus das MfS mit "legal abgedeckten Residenturen" arbeiten konnte.
Für die Beschaffung von wissenschaftlich-technischen, politischen und militärischen Informationen war vor allem die Hauptverwaltung A zuständig, aber nahezu gleichrangig zahlreiche Abwehrdiensteinheiten des MfS. Die Hauptabteilung I, in der DDR für die Absicherung des Militärkomplexes verantwortlich, erkundete auch die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz, den Zollgrenzdienst, die Bayerische Grenzpolizei und diverse Einrichtungen der NATO.
Die Hauptabteilung II, mit der "offensiven Abwehr" ausländischer Nachrichtendienste in der DDR befasst, arbeitete zeitweise auch gegen den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz sowie den Militärischen Abschirmdienst. Die Hauptabteilung VI überwachte neben dem Ein-, Ausreise- und Transitverkehr in der DDR auch den über innerdeutsche Grenzen hinaus von und nach Westberlin.
Die Hauptabteilung VII unterhielt im "Operationsgebiet" ebenfalls ein Netz, das im klassischen Sinne kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel aufzuklären hatte. Die Hauptabteilung VIII war für Ermittlungen und Beobachtungen zuständig. Zugleich war sie Servicediensteinheit für alle Diensteinheiten des MfS, indem sie den Informationsbedarf über Bundesbürger bediente.
Neben der Sicherungsarbeit in den Bereichen Staatsapparat, Blockparteien und "politischer Untergrundtätigkeit" war die Hauptabteilung XX im "Operationsgebiet" für alle Einrichtungen zuständig, die sich mit der DDR befassten. Im Visier der Hauptabteilung XXII standen links- und rechtsextremistische, überwiegend terroristische Gruppen.
Schließlich wäre auf Hauptabteilungsebene noch die Zentrale Kontrollgruppe anzuführen, die sich mit besonders DDR-kritischen Gruppen befasste, wie z. B. der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte oder den Fluchthilfeorganisationen. Mit der Westarbeit waren nicht allein die zentralen Abwehrdiensteinheiten befasst, sondern ihre Linien (Linienprinzip) erstreckten sich meist auch auf Bezirks- und im Einzelfall auf Kreisverwaltungsebene des MfS.
In den Kontext der Westarbeit sind auch die etwa 400 Entführungen von Bürgern aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu zählen sowie vereinzelte Versuche und Erwägungen, Bürger zu töten, wobei bislang ein Mord nicht nachgewiesen ist. Das MfS selbst verstand unter der "Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" die "Gesamtheit der politisch-operativen Kräfte des MfS im Operationsgebiet und die Nutzung solcher Personen aus dem Operationsgebiet, die zur Erfüllung operativer Aufgaben geeignet sind".
Die HV A und ihre Abteilungen XV in den Bezirksverwaltungen arbeiteten nach Schwerpunkten im "Operationsgebiet", ihre innere Struktur drückte die entsprechende Interessenlage aus.
Demnach konzentrierte sich die Abt. I auf Politik und strategische Absichten der Bundesregierung, die Abt. II auf die Parteien, Gewerkschaften, Landsmannschaften im "Operationsgebiet", die Abt. III steuerte die operative Arbeit der "legal abgedeckten Residenturen" in DDR-Botschaften, Konsulaten und Handelseinrichtungen, und die Abt. IV beschäftigte sich mit den militärischen Zentren" in der Bundesrepublik Deutschland, wozu das Bundesministerium der Verteidigung, Wehrbezirkskommandos der Bundeswehr und diverse US-amerikanische Einrichtungen gehörten. Die Abt. IX befasste sich mit westlichen Nachrichtendiensten, die Abt. XI mit den USA und die Abt. XII mit der NATO.
Die Abteilungen XIII bis XV gehörten zum Sektor Wissenschaft und Technik, der systematisch Patente, Verfahren und Muster für die DDR- und osteuropäische Forschung und Wirtschaft beschaffte. Schwerpunkte waren die Fachgebiete Energie, Biologie, Chemie, Elektronik, Elektrotechnik und Maschinenbau sowie das Bemühen, die Embargopolitik zu unterlaufen. Für offizielle, mithin dienstliche Kontakte zwischen beispielsweise DDR- und bundesdeutschen Wissenschaftlern oder Politikern war eigens die Abt. XVI der HV A zuständig, die auf diesem Weg an relevante Informationen gelangen sollte.
Während all diese Abteilungen der HV A überwiegend informationsbeschaffend tätig waren, verfügte sie mit der Abt. X eigens über eine Struktureinheit, die systematisch aktive Maßnahmen in der Bundesrepublik zu entfalten suchte.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Eröffnung des Schauprozesses gegen Werner Haase und Weitere wegen Spionage für die Organisation Gehlen Audio, 41 Minuten, 8 Sekunden
Plädoyer des Generalstaatsanwaltes im Schauprozesses gegen Werner Haase und Weitere wegen Spionage für die Organisation Gehlen Audio, 58 Minuten, 47 Sekunden
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Entwurf einer Regierungserklärung zur Aktion "Blitz" Dokument, 22 Seiten